City of Lost Souls
sich heran, wie einen Fisch an einer Angelschnur. Simon fiel ihr halb entgegen und Rebecca schlang die Arme um ihn. Dann umarmte sie ihren Bruder so fest wie zuletzt am Tag der Beerdigung ihres Vaters. Damals hatte Simon auf jene untröstliche Weise geweint, als ob der Schmerz nie wieder enden würde. »Ich will nicht, dass ich dich nie wiedersehe«, stieß Rebecca hervor.
»Oh«, murmelte Simon und ließ sich auf den Lehmboden sinken, völlig überrascht, sodass in seinem Kopf einen Moment lang gähnende Leere herrschte. Rebecca schlang erneut die Arme um ihn und Simon lehnte sich an sie, obwohl sie zierlicher war als er. Sie hatte ihn schon gestützt, als sie noch Kinder waren, und konnte es jetzt auch noch. »Ich dachte, du wolltest bestimmt nichts mehr mit mir zu tun haben«, sagte er leise.
»Wieso denn nicht?«, fragte Rebecca.
»Ich bin ein Vampir«, erklärte Simon. Irgendwie war es merkwürdig, diese Worte laut ausgesprochen zu hören.
»Das heißt also, es gibt Vampire?«
»Und Werwölfe. Und andere, noch viel merkwürdigere … Dinge. Das Ganze ist einfach passiert. Ich meine, ich bin angegriffen worden – ich hab mir das nicht ausgesucht. Doch das spielt sowieso keine Rolle mehr. Denn das hier bin jetzt ich.«
»Musst du … « Rebecca zögerte und Simon spürte, dass jetzt die entscheidende Frage kam, die wirklich wichtige Frage. »Musst du andere Leute beißen?«
Simon dachte an Isabelle, schob das Bild vor seinem inneren Auge aber rasch beiseite. Außerdem habe ich ein dreizehnjähriges Mädchen gebissen. Und einen Kerl. Es ist nicht so schrecklich, wie es klingt. Nein. Manche Dinge gingen seine Schwester einfach nichts an. »Ich trinke in Flaschen abgefülltes Blut. Tierblut. Aber ich verletze keine Menschen.«
»Okay.« Rebecca holte tief Luft. »Okay.«
»Wirklich? Ist es wirklich okay?«
»Du bist schließlich mein Bruder«, sagte Rebecca und rieb ihm unbeholfen über den Rücken.
Simon spürte etwas Feuchtes auf seiner Hand und schaute hinab. Seine Schwester weinte; eine ihrer Tränen war auf seine Finger getropft. Dann folgte eine weitere und Simon schloss die Finger darum. Er zitterte am ganzen Körper, aber nicht vor Kälte.
Trotzdem zog Rebecca ihren Schal aus und wickelte ihn um sie beide. »Wir werden schon eine Lösung finden«, sagte sie. »Du bist mein kleiner Bruder, du Blödmann. Ich hab dich lieb – ganz gleich, was auch passiert.«
Und dann saßen sie zusammen da, Schulter an Schulter, und starrten in die Schatten zwischen den Bäumen.
In Jace’ Zimmer war es hell; durch die geöffneten Fenster fiel das strahlende Licht der Mittagssonne herein. Sobald Clary den Raum betreten hatte, verriegelte Jace die Tür hinter ihnen. Clary hörte ein lautes Klirren, als er die Messer auf seinen Nachttisch warf. Sie wollte sich gerade umdrehen und ihn fragen, ob alles in Ordnung sei, da umfasste er ihre Taille und zog sie an sich.
Ihre Stiefel machten Clary zwar etwas größer als sonst, aber trotzdem musste Jace sich noch zu ihr hinunterbeugen, um sie zu küssen. Mit den Händen an ihren Hüften hob er sie hoch und presste sie an sich – eine Sekunde später spürte sie seine Lippen auf ihrem Mund und vergaß alles um sich herum. Jace schmeckte nach Salz und Feuer. Clary versuchte, alles andere auszuschalten und sich nur auf ihre Empfindungen zu konzentrieren: der vertraute Geruch seiner verschwitzten Haut, die klamme Kühle seiner feuchten Haare an ihrer Wange, die Konturen seiner Schultern und seines Rückens unter ihren Händen, die Art und Weise, wie ihr Körper sich perfekt an seinen schmiegte.
Jace zog ihr das Sweatshirt über den Kopf und warf es beiseite. Darunter trug sie nur ein kurzärmliges Shirt, weshalb sie die Wärme seiner Haut unvermittelt spüren konnte. Sein Mund öffnete ihre Lippen und Clary fühlte, wie ihre Knie nachgaben, als sich seine Hand über den obersten Knopf an ihrer Jeans schob.
Es kostete sie all ihre Kraft und Selbstbeherrschung, um sein Handgelenk zu umfassen und es festzuhalten. »Jace«, wisperte sie. »Bitte nicht.«
Er hob den Kopf und löste sich leicht von ihr, sodass Clary sein Gesicht sehen konnte. Jace’ Augen wirkten leicht glasig; sein Herz wummerte an ihrer Brust. »Warum nicht?«, fragte er.
Gequält kniff Clary die Augen zusammen. »Vergangene Nacht … wenn wir nicht … wenn ich nicht ohnmächtig geworden wäre, dann weiß ich nicht, was passiert wäre. Und das in einem Raum voller Leute. Glaubst du ernsthaft, ich möchte
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