Clancy, Tom
Daniel's
Old Nr. 7. Die Briten hatten keine Ahnung von Bourbon oder dessen Cousin aus
Tennessee, deshalb war der erste tiefe Schluck sogar ohne Eis ein Genuss, den
er lange entbehrt hatte.
»Wie sieht
das Programm für morgen aus?«, fragte Sandy.
»Ich muss
zu einem Treffen im siebten Stock.«
»Mit wem?«
»Hat er
nicht gesagt. Wahrscheinlich irgend so ein stellvertretender
Operationsdirektor. Ich verfolge die Personalentwicklung in Langley schon
lange nicht mehr. Wer immer es auch ist - er wird mir etwas von dem großartigen
Ruhestandspaket erzählen, das sie für mich zusammengestellt haben. Sandy, ich
glaube, es ist wirklich Zeit für mich, den Beruf an den Nagel zu hängen.«
Er konnte
ihr ja schlecht erzählen, dass er nie geglaubt hatte, lange genug zu leben.
Bisher hatte er jedenfalls bemerkenswertes Glück gehabt. Jetzt würde er sich
einen Laptop kaufen und ernsthaft mit seiner Autobiografie beginnen müssen. Im
Augenblick gab es jedoch Wichtigeres zu tun. Er stand auf, streckte sich und
hängte sein Sakko in den Schrank, bevor ihm Sandy wieder einmal vorwarf, dass
er ein Schlamper sei. Auf dem Revers war das himmelblaue Band mit den fünf
weißen Sternen angebracht, das zeigte, dass der Besitzer die Medal of Honor
besaß. Jack Ryan hatte ihm die verliehen, nachdem er sich seine Navy-Dienstakte
und ein längeres Empfehlungsschreiben von Vizeadmiral Dutch Maxwell, Gott hab
ihn selig, angeschaut hatte. Als Maxwell mit 83 starb, konnte er leider an
dessen Begräbnis nicht teilnehmen. Er hielt sich zu dieser Zeit ausgerechnet
im Iran auf, um herauszufinden, ob ein Agentennetz vom iranischen Geheimdienst
tatsächlich vollkommen ausgehoben worden war. Immerhin war es ihm dann
gelungen, fünf von ihnen zusammen mit ihren Familien über die VAE aus dem Land
zu schleusen. Sonny Maxwell, ein vierfacher Vater, war immer noch als Pilot
für Delta Airlines tätig. Clark hatte die Tapferkeitsmedaille bekommen, weil
er Sonny aus Nordvietnam herausgeholt hatte. Inzwischen kam es ihm so vor, als
ob das alles während der letzten Eiszeit geschehen sei. Aber er konnte immerhin
noch dieses kleine Band auf seinem Sakko vorweisen, und das war doch schon was.
Irgendwo im Gepäck mussten auch noch das »Affenjäckchen« und die schwarzen
Schuhe eines Oberbootsmannsmaats sowie das sogenannte »Budweiser«-Abzeichen der
Navy-SEALs stecken. In den meisten Unteroffiziersmessen der Navy hätte er
damals noch nicht einmal ein Bier bestellen dürfen, aber, mein Gott,
inzwischen sahen seine Vorgesetzten so verdammt jung aus. Damals waren sie ihm
alle wie Noah persönlich vorgekommen.
Die gute
Nachricht lautete jedoch: Er war noch am Leben. Und er konnte sich auf einen
ehrenvollen Ruhestand freuen. Vielleicht konnte er auch diese Autobiografie
herausbringen, falls Langley deren Veröffentlichung jemals erlauben sollte.
Das war allerdings höchst unwahrscheinlich. Er wusste eine Menge Dinge, die nie
bekannt werden sollten, und er hatte ein oder zwei Sachen getan, die man
wahrscheinlich nicht hätte tun dürfen, obwohl zu dieser Zeit sein Leben davon
abhing. So etwas traf jedoch bei den Bürohengsten im Old Headquarters Building
meist auf wenig Verständnis. Der Höhepunkt in deren Tagesablauf war es ja,
wenn sie einen guten Parkplatz fanden und wenn es in der Caféteria als Dessert
Gewürzkuchen gab.
Aus seinem
Hotelfenster konnte er Washington überblicken. Das Kapitol, das Lincoln
Memorial, den Marmorobelisk des Washington Monument, aber auch die
überwältigend hässlichen Gebäude, die Regierungsstellen und Ministerien
beherbergten.
Für John
Terrence Clark war es einfach nur eine Stadt voller Sesselfurzer, die
Aktenordner mit der Wirklichkeit verwechselten und alle Akten immer schön
sauber ausfüllten und bearbeiteten. Ob ein Mann dafür sein Blut vergießen
musste, interessierte sie dabei herzlich wenig. Von diesen Leuten gab es hier
Hunderttausende. Die meisten von ihnen hatten Frauen - oder Männer - und
Kinder. Trotzdem fiel es ihm schwer, sie nicht mit Verachtung zu betrachten.
Manchmal hasste er sie sogar aus ganzem Herzen. Aber sie hatten ihre Welt, und
er hatte seine. Die beiden berührten sich vielleicht mitunter, aber sie kamen
niemals wirklich zusammen.
»Froh,
wieder zurück zu sein?«, fragte Sandy.
»Ja, irgendwie
schon.« Veränderungen waren schwierig, aber unvermeidlich. Und wie sein Leben
von jetzt an weitergehen würde ... das würde die Zeit schon weisen.
Am nächsten Morgen bog Clark nach rechts
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