Clancy, Tom
dann durch mehrere
Expeditionen - Forscher wie Willoughby, Barents, Lütke, Hudson ... Mehrere
Jahrhunderte lang waren diese Menschen zu den Inseln gefahren, die schließlich
1954 von den Sowjets annektiert worden waren. Die Sowjets hatten die beiden
Inseln zum Nowaja-Semlja-Testgebiet umbenannt und in drei Zonen eingeteilt: A -
Chjornaja Guba; B - Matotschkin Schar, und C - Sukhoj Nos, wo 1961 die
50-Megatonnen-Zar-Bombe gezündet wurde.
Als
Testgelände hatten die beiden Inseln insgesamt fast 300 Atomexplosionen erlebt,
die letzte fand 1990 statt. Seither bedeutete der Name für verschiedene Menschen
ganz unterschiedliche Dinge - etwas Befremdliches, eine Tragödie, eine
traurige Erinnerung ... Aber für die ständig von Geldknappheit bedrängte
russische Regierung waren die beiden Inseln nach der Stilllegung des
Testzentrums ein geradezu idealer Ort, an dem sie ihren Atommüll entsorgen
konnte.
Wie
lautete doch das treffende Sprichwort? Was dem einen sin Uhl, ist dem andern
sin Nachtigall.
Cassiano
fiel auf, dass sie sich besonders für die Hochspannungsleitungen
interessierten. Wo sie Straßen überquerten, wie hoch über dem Boden sie
hingen, wie viele Masten pro Kilometer ... Interessante Aufgabe, und natürlich
würde er sein Bestes tun, um die Informationen zu beschaffen.
Aber sie
interessierten sich auch für den Güterzugverkehr, worüber er sich doch sehr
wunderte. Es stimmte zwar, dass täglich Züge ankamen und abfuhren, aber ihre
Einfahrt in die Anlage war streng reglementiert und wurde genauestens
überwacht. Falls sie nach Möglichkeiten suchten, in die Anlage einzudringen,
gab es erheblich einfachere Methoden. Vielleicht war das die Antwort: Sie
waren an den Zügen nicht als Mittel zur Infiltration interessiert, sondern
benutzten sie als eine Art Messinstrument. Der Output der Einrichtung wurde
streng geheim gehalten, aber wenn man die ein- und ausfahrenden Züge genau
überwachte und bestimmte Dinge über sie in Erfahrung brachte, war es möglich,
den Output ziemlich genau zu schätzen.
Sehr clever, dachte er. Und es passte genau zu
dem, was er über seine Auftraggeber wusste. Ein gesunder Wettbewerb sei eine
gute Sache, hatte man ihm erklärt, aber mit einem neu entdeckten Ölfeld allein
könne man eben nicht viel anfangen. Was man aber kontrollieren könne, seien die
Preise und die Förderkapazitäten, und Cassiano vermutete, dass seine
Auftraggeber genau das tun wollten. Die OPEC-Staaten, hauptsächlich islamische
Länder, waren seit vielen Jahrzehnten die größten Öllieferanten der Welt, und
wenn Cassiano dazu beitragen konnte, ihre Vormachtstellung zu erhalten, sollte
ihm das ein Vergnügen sein.
Im Rückblick wurde Jenkins klar: Er
hätte es kommen sehen müssen, wie diese »Werbeaktion« verlaufen würde. Im
Endeffekt stolperten sie von einem Fettnäpfchen ins nächste. Die Anlage wurde
regelmäßig von zahlreichen Beamten staatlicher Behörden und von Funktionären
besucht, von der Umweltschutzbehörde und dem Heimatschutzministerium bis zum U.
S. Geological Survey und dem Army Corps of Engineers. Bisher waren solche
Besucher immer von einem Sprecher des Energieministeriums empfangen und
betreut worden. Als Folge der in Washington neu aufgeflammten Debatte über die
Zukunft der Anlage hatte sich das geändert. Jetzt tauchten hier massenhaft
Politiker oder Bürokraten auf, die den weiten Weg nicht scheuten, und sie alle
stellten bohrende Fragen, die ihnen irgendwelche schlecht bezahlten
Mitarbeiter aufgeschrieben hatten und die signalisieren sollten, dass sie
nicht lockerlassen würden, bis sie die ganze Anlage bis ins kleinste Detail
verstanden hatten.
»In
Wirklichkeit wollen sie natürlich was anderes, Steve«, hatte ihm sein Boss
erklärt. »Sie wollen einen Blick hinter die Kulissen werfen. Sie, mein Lieber,
wirken ganz natürlich und genau im richtigen Maße unschuldig und unverbraucht
- Ihnen werden sie abkaufen, dass Sie ihnen wirklich einen tiefen Einblick vermitteln.«
Das war
ein ziemlich zweifelhaftes Kompliment, aber Steve musste selbst zugeben, dass
kaum einer sämtliche Nischen und Winkel der Anlage so genau kannte wie er. Er
hatte hier drei Jahre nach seinem Abgang vom College zu arbeiten begonnen. Das
Projekt selbst war damals schon 19 Jahre alt gewesen, gemessen ab dem Zeitpunkt,
an dem das Gebiet von Yucca Mountain für die Atommüll-Endlagerung anvisiert
worden war, zusammen mit zehn weiteren Gebieten in sechs US-Staaten. Ein paar
Jahre später wurde
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