Clara
dass Sie mich dafür halten. Aber machen Sie es sich damit
nicht zu leicht. Denn so einfach ist es nicht und wird es für Sie auch nie
sein. Glauben Sie mir. Wäre es einfach, hätte ich mir die nächstbeste Person gegriffen und sie bei mir zu Hause in den Keller gesperrt. Oder ich
hätte Sie einfach vor dem vereisten Einfahrtstor zu Ihrer Villa abgeknallt .«
»Um meinen
Vater zu bestrafen !« , unterbrach sie ihn. Er blickte
sie kopfschüttelnd an.
»Das ist nur
eine Seite der Medaille. Versuchen Sie, einmal in Ihrem Leben hinter die
Fassade zu blicken. Hinter die Oberfläche, die meist alles verdeckt. Aber Leute
wie Sie bleiben wohl immer dort hängen. Weil sie Angst haben, den Deckel
abzunehmen, und dann vielleicht mit etwas konfrontiert werden, das nicht ins
Bild passt. Das nicht präsentabel für die Hochglanzgazetten ist. Das vielleicht
zu sehr menschlich ist .« Obwohl der Heizlüfter
unentwegt vor sich hin surrte, konnte Clara die Kälte spüren, die von diesen
Worten ausging. Die gegen sie gerichtet waren. Unterbewusst fröstelte sie.
»Wie sieht
denn diese andere Seite aus ?« , fragte sie. Wieder
einmal verstand sie gar nichts. Nur seine Antwort war vorhersehbar.
»Das müssen
Sie selbst herausfinden. Aber ich fürchte, es ist bereits zu spät dafür. Zu
sehr sind Sie in Ihrer eigenen Welt gefangen. Und ich spreche nicht von jener,
die Sie momentan bewohnen .« Er erhob sich und machte
Anstalten zu gehen. Sie sprang auf.
»Nein. Gehen
Sie nicht !« , bat sie ihn eindringlich. »Bitte bleiben
Sie noch .« Er zog die Augenbrauen hoch. Dann nickte er
ein paar Mal. Kaum merklich. Doch Clara hatte es registriert und atmete auf.
Sie konnte jetzt noch nicht alleine sein. Alleine mit all den Rätseln, die er
ihr laufend hinterließ. Es waren diese Rätsel, die sie erst so richtig
fertigmachten. Und er wusste das. Dessen war sie sich sicher.
4
»Nun gut«,
begann Michael erneut die Unterhaltung, während er sich wieder auf den
Klappsitz platzierte. »Wenn ich Ihnen noch nicht überdrüssig bin, reden wir
eben weiter. Reden wir über Sie .« Auffordernd blickte
er in ihre Richtung. Clara sah etwas unschlüssig drein.
»Ich weiß
nicht so recht, was es da viel zu erzählen gibt. Ich bin sicher, dass Sie das
meiste über mich ohnehin schon wissen. Aus dem Internet.« Sie bereute es
zutiefst, jemals die Einwilligung für diese Website gegeben zu haben.
»Nein,
nein«, erwiderte er. »Nicht dieses verlogene, durchgestylte Zeug. Erzählen Sie
mir etwas von der echten Clara Bergmann. Oder wollen Sie mir etwa sagen, dass
es die abseits dieser künstlichen Blase, dieser Barbiewelt gar nicht gibt? Wenn
dem nämlich so ist, müsste ich meine Strategie neu überdenken. Denn dann wäre
das hier noch viel zu gut für Sie !« Wieder dieser Mix
von Wut und Überlegenheit. Mr. Hyde betrat erneut den Schauplatz. Clara
schluckte. Sie musste stark sein.
»Michael,
vorweg möchte ich Sie bitten, nicht ständig so
verletzend mir gegenüber zu sein. So bedrohlich. Sie meinen, ich hätte diese
Behandlung verdient. Aber das ist nicht wahr. Niemand hat das verdient .« Dann ging sie das Risiko ein. Von nun an war alles
möglich. »Ich bin sicher, Ihre Frau hätte das nicht gewollt .« Er saß mit verschränkten Händen da. Starrte Clara eindringender denn je an. Sie
sah, wie seine Halsschlagader wild pochte. Instinktiv ließ sie ihre Augen
wandern. Nach einem Fluchtweg Ausschau haltend. Aber da war keiner. Plötzlich
durchbrach er die unheilschwangere Stille. Beinahe entspannt begann er zu
sprechen.
»Vielleicht
haben Sie recht .« Sein Gesicht nahm einen milden
Ausdruck an. »Vielleicht nehme ich Sie zu hart ins Gericht. Doch ich bedaure es
nicht, wenn Sie darauf etwa aus sind. Nichts. Nicht im Geringsten. Ich habe
kein Mitleid für Sie. Und auch keine Sympathie. Kein bisschen. Dennoch. Es ist
nicht fair, Sie in dieser Lage noch weiter in die Ecke zu drängen. Sollten Sie
jedoch noch einmal meine Frau erwähnen, werden Sie es bereuen. Bitter bereuen .« Er sagte das in einem Ton, als würde er in einem
Restaurant sein Essen bestellen. Sachlich. Emotionslos. Alltäglich. Clara
nickte. Sie hatte verstanden. Es war auch deutlich genug. Und doch zweifelte
sie etwas. Warum dann die Geburtstagsgeschenke? Warum dann immer wieder einmal
der echte Anflug von Nettigkeit ihr gegenüber? Kämpfte er innerlich gegen sich
selbst? Und wollte sich das nicht eingestehen? Sie wusste es nicht. Sie wusste
mittlerweile gar nichts mehr.
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