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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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Ihren
Vater nun genauso leiden zu sehen, wie ich bis zu meinem Tode leiden werde.
Jeden Tag, wenn ich mir im Internet seine flehentlichen Appelle an den
Entführer anhöre. Seine Appelle an ein Phantom, dessen er nicht habhaft wird.
Dessen Intention er nicht begreift. Und womöglich niemals begreifen wird.«
    Den letzten
Satz hatte er mit voller Schärfe direkt in Claras Gesicht geschmettert. Dann
machte er kehrt und nahm wieder Platz. Clara war sich der Tragweite dieser
Worte sofort bewusst. Sie war der letzte Trumpf in der Hand eines Mannes, der
das Spiel bereits aufgegeben hatte. Und doch mit einem Paukenschlag zum
Abschied untergehen wollte. Er hatte recht behalten.
Diese Geschichte gefiel ihr ganz und gar nicht. Ihre Hoffnungen sanken auf den
Nullpunkt. Denn hier konnte sie nicht mit Gnade rechnen. Sie war zu einer Figur
in einer unsichtbaren Auseinandersetzung geworden. Zum Spielball zwischen Rache
und Verzweiflung. Hier konnte sie nur verlieren. Wenn sie nichts dagegen
unternahm.

 
    3

 
    Es herrschte
erneut Schweigen. Eine Minute. Zwei. Die Fronten waren abgesteckt. Die Gräben
ausgehoben. Clara war elend zumute. Eigentlich wollte sie sich kurz hinlegen.
Doch er sollte noch nicht gehen. Alles war besser als diese Stille. Diese
unsägliche Einöde zwischen weiß getünchten Wänden und schwarzem Gitter.
Zwischen der gefühlten Hölle und dem, was danach kam. Michael nickte zum
Karton, den er zuvor auf ihren Tisch abgestellt hatte. Sollte sie etwa mit dem
Einräumen der Wäsche beginnen? Er durchbrach die Wortlosigkeit.
    »Sehen Sie
nach !« , forderte er sie auf. Sein Ton war jetzt wieder
sehr höflich. Beinahe feierlich. Dr. Jekyll war zurück. Jekyll und Hyde. Es war
eines der Bücher, die er ihr gegeben hatte. Und es passte mehr als alles andere
zu ihm. Clara stand auf und schaute in den offenen Karton. Ja, da waren frisch
gewaschene Kleider. Wirklich nett von ihm. Sie hob den Stapel heraus und wollte
sich schon auf den Weg zum Schrank machen. Da sah sie den silbern glitzernden
CD-Player. Und eine CD von Benny Goodman. Darunter ein Schmink-Set einer großen
Handelsmarke. Und zwei Tafeln Schokolade. Sie blickte zu ihm hinüber. Er hatte
sie wieder ins Visier genommen.
    »Na ja, ein Ferrari
ist es nicht. Trotzdem schon mal alles Gute für Ihren morgigen Geburtstag.«
Clara stellte die Sachen auf den Tisch. Wie sehr hatte sie Schokolade vermisst.
Und gute Musik. Woher wusste er nur? Ach ja, das Internet. Aber was wollte er
mit dem Schminkkram? Sollte sie sich etwa schick für ihn machen? Dieser Gedanke
machte sie nervös. Wieder schien er ihre Überlegungen zu erfassen. Er grinste
sie leicht an. Sie mochte das gar nicht. Diese leicht überlegene Art, mit der
er sie laufend konfrontierte. Diese Art, die nicht auf der Macht, die er über
sie hatte, basierte. Die er ihr wohl überall auf der Welt entgegenbringen
würde. Diese Art, mit der er ihre Minderwertigkeit ausdrücken wollte. Dafür
hasste sie ihn wirklich. Mehr als für alles andere.
    »Es ist vermutlich
nicht nach Ihrem Geschmack, aber ich kenne mich in solchen Dingen nicht aus.
Die Produkte, die Sie normalerweise verwenden, sind natürlich viel zu teuer.
Sie können es nehmen oder auch nicht. Ist mir egal. Für mich brauchen Sie sich
jedenfalls nicht zu schminken. Ich dachte nur, Sie fühlen sich dann vielleicht
ein wenig besser .« Oh, der große Frauenpsychologe
plauderte aus dem Nähkästchen!
    »Danke. Das
war sehr nett von Ihnen !« , sagte sie artig. Bloß nicht
wieder ins alte Schema verfallen! Jetzt lachte er erstmals wirklich auf. Er
konnte seine Heiterkeit nicht mehr verbergen. Nur, was er sagte, passte so gar
nicht zum Offensichtlichen.
    »Sie sind
mir vielleicht eine Type«, begann er noch einigermaßen freundlich. »Das ist
kein Kindergeburtstag, meine liebe Clara !« Nochmals
ein leiser Anflug von Vergnügen. Dann erstarb sein Gesicht. Wurde wieder zur
Sphinx. »Es gibt keinen Kuchen, keinen Kakao. Keine Ponys, keine Clowns. Nur
Sie und mich. Nur die arme, kleine, verwöhnte, schöne, nichtsnutze Prinzessin und
einen gescheiterten Mann, der zum Verbrecher wurde .« Er hatte das kurze Zucken in ihrem Gesicht wahrgenommen. »Diese Einschätzung
überrascht Sie ?« Ohne eine Antwort abzuwarten, sprach
er weiter. »Ja, selbstverständlich erkenne ich, dass ich hier ein Verbrechen
begehe! Ein schweres noch dazu. Ich müsste ja verrückt sein, wenn es nicht so
wäre .« Das Grinsen kehrte in sein Gesicht zurück. »Ich
kann nachvollziehen,

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