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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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gesehen, wie er Sie angesehen hat !«
    Clara riss
die Augen auf. Wie lange hatte dieser Mensch sie eigentlich schon verfolgt? Und
vor allem wo? Wieder kam prompt die Antwort auf diese nicht gestellte Frage.
    »Ich habe
Sie auf der Straße vor dem Anwesen beobachtet. Nun kommen Sie schon. Sie
wollten reden. Also tun Sie’s auch !« Er feuerte sie
regelrecht an. Seine Augen leuchteten. Clara war sich bewusst, gegenüber einem
völlig fremden, zutiefst gestörten und abartigen Menschen ihre intimsten
Geheimnisse preiszugeben. Aber was war die Alternative? Sie musste mit ihm
sprechen. Ihn kennen lernen. Ihn bei Laune halten. Einen anderen Plan hatte sie
nicht. Noch nicht.

 
    5

 
    »Sie sind ja
schlimmer als die Presse !« , scherzte sie los. Er blieb
mit unbewegter Miene sitzen. Humor war offensichtlich nicht seine Stärke.
Solange er nicht schwarz und undurchschaubar war. »Ich habe Thomas auf einem
Firmenempfang meines Vaters kennen gelernt. Er war sehr charmant. Eher
zurückhaltend. Die meisten Männer preschen immer gleich los auf mich. Sehen
eine leichte Beute. Aber ich bin nicht so dumm, wie ich allgemein gehalten
werde .« Clara hielt inne. Dachte an die vielen
flüchtigen Liebschaften, die sie ihr ganzes Leben über begleitet hatten. Sie
sprach weiter. »Thomas war anders. Er interessierte sich für mich. Erzählte mir
von seiner Vergangenheit. Er kam aus einfachen Verhältnissen und hatte sich
hochgearbeitet. Spielte jetzt an der Börse eine gewichtige Rolle. Er
faszinierte mich, und wir begannen, uns zu treffen .« Wieder machte Clara eine Pause. Michael fraß sie mit seinen Augen beinahe auf.
Er setzte die Geschichte selber fort.
    »Aber er
hatte kein Bedürfnis nach Öffentlichkeit. Wollte Sie für sich haben. Ohne
ständige Belästigungen von Fotografen, Reportern, Kameraleuten. Ganz im
Gegenteil zu Ihnen. Sie genossen diese Aufmerksamkeit und wollten sie auch
nicht aufgeben. Oder auch nur ein wenig kürzertreten .
Das bekam er natürlich rasch mit. Die Verabredungen wurden weniger und weniger.
Er stürzte sich in die Arbeit, Sie, wie gehabt, ins Gesellschaftsleben. Ich
kann mir die rührselige Szene eures letzten Telefonats bildhaft vorstellen. Er
im Nadelstreif am Schreibtisch, Sie im seidenen Morgenmantel auf der Couch. Ja,
wir bleiben Freunde. Ja, wir sehen uns. Ja, wir rufen uns an .« Clara überhörte den Sarkasmus, der in diesen Feststellungen lag, und unterbrach
ihn.
    »Er war eben
nichts für mich .« Michael hob die Hand und gebot ihr
Einhalt.
    »Er war
nichts für Sie? Sie waren nichts für ihn !« , versetzte
er heftig. »Ich habe eine Kurzbiografie über ihn gelesen. Fing ganz unten an.
Ich halte nichts von diesen Börsenheinis, die so lange mit Zahlen jonglieren,
bis entweder ein satter Gewinn für ein paar wenige herausspringt oder ganze
Unternehmen den Bach runtergehen. Aber dieser Junge ist in Ordnung. Einer der
wenigen, die noch so etwas wie Gewissen haben. Rührt wohl von seiner Herkunft
her. Denn als feiner Pinkel geboren, bleibt man in der Regel auch einer .« Clara holte sich ein Glas Wasser und bot auch ihrem
Entführer eines an. Er winkte ab. »Er hat Sie geliebt. Aber Sie haben ihn
weggestoßen. So, wie Sie immer die Menschen wegstoßen, die sich etwas aus Ihnen
machen. Weil sie keine Kamera in der Hand haben. Und keinen Presseausweis.«
Clara zeigte sich eingeschnappt.
    »Sie
scheinen mich ja sehr gut zu kennen! Offenbar besser als ich mich selbst!« Der Konter kam ohne Verzögerung.
    »Ja, so ist
es. Sie opfern alles für Ihr sogenanntes Image.
Dieses widerliche, künstliche Gehabe. Wo sind Ihre alten Freunde? Ich meine,
aus der Zeit, wo Sie noch nicht völlig Ihrer eigenen Geltungssucht verfallen
sind. Sie sind weg. Passten nicht mehr ins Bild. Genauso wenig wie Thomas. Aber
seien Sie sich gewiss. Er ist ohne Sie besser dran. Und er wird es überwinden.
Aber Sie? Sie werden einsam sterben, wenn erst einmal der Lack ab ist. Und das
muss nicht unbedingt hier passieren .« Wieder begannen
die Tränen, sich ihren Weg zu bahnen. Wieder hatte er ihr einen Spiegel
vorgehalten. Doch er ließ ihr keine Pause, ihre Gedanken zu sortieren. »Gut.
Wir haben über Ihre Mutter gesprochen. Was ist mit Ihrem Vater ?« Das Thema Thomas war damit offenbar erledigt. Er hatte
erreicht, was er erreichen wollte. Und versuchte nun, eine weitere Nadel in
ihren Körper zu treiben. Clara war nicht sicher, ob sie noch mehr von sich
preisgeben sollte. Vor allem angesichts dessen, was er daraus machte.

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