Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
Vom Netzwerk:
das hier alles passiert. Ich muss es doch verstehen
können. Sie haben mir zwar schon eine Erklärung gegeben, aber ich glaube nicht,
dass das wirklich der Grund ist .« Clara sah ihm fest
in die Augen »Michael, bitte !« , sagte sie flehentlich.
Sie merkte, wie er innerlich mit sich rang.
    »Na gut«,
begann er. »Aber es wird Ihnen nicht gefallen .« Hier
gefiel ihr ohnehin nichts. Da kam es darauf auch nicht mehr an. »Es war vor
drei Jahren. Sarah, so hieß meine Frau, kam gerade von der Nachtschicht aus dem
Altenheim. Sie überquerte einen Schutzweg. Wollte nach Hause. Da kam plötzlich
ein Lieferwagen um die Ecke geschossen. Er hat sie frontal erfasst .« Clara sah ihn schweigend an. Sicherlich eine Tragödie.
Aber was hatte das mit ihr zu tun? Trotzdem fühlte sie sich zu einer Bemerkung
verpflichtet.
    »Das tut mir
sehr leid .« Er blieb ruhig sitzen. Zu deprimiert, um
in Rage zu geraten.
    »Es tut
Ihnen leid? Sie wissen gar nicht, was leiden ist! Aber Sie werden es erfahren .« Gelassen, kalt und abweisend kam diese Drohung über seine
Lippen. Clara musste das erst kurz verdauen. Dann antwortete sie mit klarer
Stimme:
    »Behandeln
Sie mich nicht wie eine gefühllose Göre. Das bin ich nicht. Ich bin erwachsen.
Und wenn ich sage, es tut mir leid, dann tut es mir leid !« Michael saß weiterhin ungerührt da.
    »Nun«,
begann er von Neuem »vielleicht tue ich Ihnen unrecht .« Sie blieb stumm. »Sie werden sich gefragt haben, was das alles mit Ihnen zu tun
hat. Eigentlich gar nichts. Aber mit Ihrem Vater.«
    Sie sah ihn
erschrocken an. Ihr Vater fuhr doch keine Lieferwagen. Schon gar nicht … Ihre
Gedanken stockten. Wieder schien er ihre Gedanken zu erraten.
    »Nein, Ihr
Vater war nicht am Steuer. Natürlich nicht. Ihr Vater weiß vermutlich nicht
einmal, wie man einen Lieferwagen lenkt .« Kurzes
Schweigen. »Der Fahrer war einer seiner Bediensteten. Einer der vielen Tausend
bei ›Bergmanns Wurst- und Fleischwaren‹. Er hatte seinen freien Tag. Hatte sich
die Nacht über volllaufen lassen. Und frühmorgens kam
der Anruf. ›Du musst für Müller einspringen !‹ Oder war
es Berger? Er hatte dem Anrufer seinen Zustand beschrieben. Doch das war dem scheißegal. ›Fahr oder du fliegst !‹ Ganz nach der Firmenphilosophie. Solange auch nur ein Cent mehr Profit
herausspringt, ist alles zu rechtfertigen. Die Fahrer waren schließlich selbst
verantwortlich. Betrunken oder nicht. Unfall oder nicht. Die Firma war fein
raus. Denn die Firma wusste von nichts. ›Wir verwehren uns gegen solche
Anschuldigungen !‹ Und wer würde schon einem Alkolenker
glauben? Nun, ich tat es. Denn es war plausibel. Ich brauchte nur etwas im
Internet zu recherchieren. ›Bergmann tritt das Arbeitsrecht mit Füßen.‹ In
diesem Tenor wurde berichtet. Doch alle Angaben stammten natürlich aus anonymen
Quellen. Wer wollte sich schon mit Ihrem Vater anlegen ?«
    Wieder legte
er eine kurze Pause ein, um Claras Gesicht zu mustern. Sie war nun echt
betroffen. Anteilnehmend . Er fuhr fort.
    »Der Fahrer
erhielt die Höchststrafe. Er hat sich in einem langen Brief bei mir
entschuldigt. Mich um Verzeihung gebeten. Doch ich konnte und kann ihm nicht
verzeihen. Aber ich will mich auch nicht an ihm rächen. Er ist doch auch nur
ein armseliger, kleiner Wurm, der in die Mühle geraten ist. In eine Mühle, die
Ihr Vater mit zunehmendem Erfolg in Gang hält. Mit zunehmender
Menschenverachtung.«
    Clara war
die Situation sehr unangenehm. Sie wusste, dass jedes Wort nun falsch sein
würde. Gleichzeitig erwartete er aber eine Antwort. »Es wird kein Trost für Sie
sein, aber wenigstens haben Sie Gerechtigkeit erhalten .« Jetzt verlor Michael die Fassung. Er sprang auf. Hin zum Gitter. Sie wich
erschrocken zurück.
    »Das nennen
Sie Gerechtigkeit ?« Er schnaubte. »Ja. So stellt ihr
euch Gerechtigkeit vor. Lasst andere für eure Sünden büßen. Die
Geschichtsbücher sind voll davon. Meine Frau war mein Leben, mein Halt. Meine
Frau war alles, was ich hatte. Als ich sie verlor, verlor ich mich selbst. Und
was tat die Firma Bergmann? Nichts. Nicht einmal ein Kranz zum Begräbnis. Nicht
einmal ein Beileidsschreiben. Ein Betriebsunfall mit zivilem Opfer. Ein Kollateralschaden . Und warum? Weil man für das Absatzgebiet
Personalkosten einsparen wollte und viel zu wenig Personal zur Verfügung hatte.
Viel zu wenig Personal, das zu Dumpinglöhnen endlos Überstunden schiebt. Bis
zum heutigen Tag. Nein, es ist mir kein Trost. Aber es ist mir ein Trost,

Weitere Kostenlose Bücher