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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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jemand
vehement einen Gegenstand zusammen. Die Pistole. Sie drückte den Griff der Pistole.
    In diesem
Moment war ich sicher, dass sie mich nicht erschießen würde. Sie hatte es
sicherlich ernsthaft überlegt. Aber sich dagegen entschieden. Das Klammern der
Waffe signalisierte die Unterdrückung von Aggressionen. Sie sann auf Rache.
Aber auf eine Rache, die sie auch überleben würde. Wenn sie nur gewusst hätte,
dass ich den Schlüssel bei mir hatte. Wie so oft in brenzligen Situationen. Ich
wunderte mich, dass sie mich noch immer nicht durchschaut hatte. Sie erkannte
nicht, dass ich sie nicht zwangsläufig zum Sterben auserkoren hatte. Sie
erkannte nicht, wie nahe sie der Freiheit war. Seit dem ersten Tag ihrer
Gefangenschaft. Alles, was sie dazu tun musste, war, ihren Verstand zu
gebrauchen. Ihren Esprit, der mit ihrer Schönheit untergegangen war.
    »Ich weiß«,
antwortete ich knapp. Genauso, wie ich auch gewusst hatte, wie ich sie dazu
kriegen würde. Vergewaltigung. Schon bald war mir klar geworden, wie sehr sie
sich davor fürchtete.
    »Ich muss
ihn jetzt rausschaffen .« Mehr gab es nicht zu sagen.
Clara erhob sich langsam, legte die Pistole am Tisch ab und schritt auf mich
zu. Sie wirkte wie ein Engel, während sie in ihren Schuhen über den Beton
klackte. Ich senkte den Kopf, als sie mir ihre Hände entgegenstreckte. Und ich
zuckte zusammen, als ich sie beim Anlegen der Handschellen berührte.

 
    3

 
    Ich stülpte
Burger einen Plastikbeutel über den Kopf, packte ihn an den Achselhöhlen und
zerrte ihn raus. Die Blutlache an der Seite seines Schädels war bereits leicht
angetrocknet. Ich würde sie später entfernen. Das wollte ich Clara nicht
zumuten. Schließlich musste ich ihr einen Rest an Menschlichkeit
entgegenbringen. Einen Rest, der die Schande etwas von mir nahm. Die Schande,
die ich empfand, als ich Burgers Leiche über den Gang in Richtung Schleuse
schliff. Vorbei an ihren Augen, deren Leere mich auffraß.
    Burger
wieder nach draußen zu bringen, war eine noch größere Tortur, als ihn in den
Keller zu schaffen. Da ich ihn nicht die Leiter hochtragen konnte, legte ich ihm ein Seil an, stemmte mich gegen die Hüttenwand und zog
ihn seitlich aufwärts. Es erforderte unendliche Kraft, und nicht nur ein Mal
stand ich davor zu resignieren. Nur der Wille ließ mich weitermachen.
    Als ich den
Leichnam endlich über die Kante gewuchtet hatte, rang ich nach Luft. Ich war
völlig ausgepumpt. Ich löste das Seil, packte ihn an seinen schweren Stiefeln
und zog ihn über den Hüttenboden raus zum Leiterwagen. Es war dunkel geworden.
Nur noch schwaches Dämmerlicht wies mir den Weg.
    Ich
schleppte den Wagen in die hinterste Ecke des Grundstücks. Dort, wo der Zaun
ein großes Loch hatte. Ich kroch mit dem Gefährt samt Ladung hindurch. Nach
einigen Metern hörte die Wiesenvegetation abrupt auf. Ich stand auf dem mit
abgestorbenen Nadeln zersetzten Waldboden. Ich lenkte den Wagen über einige herausragende
Baumwurzeln und blieb schließlich vor einer größeren Grube stehen. Ich hatte
sie am frühen Nachmittag ausgehoben. Drei oder vier Stunden lang hatte ich mich
durch die Wurzeln gearbeitet. Bei vollem Tageslicht. Und doch geschützt durch
die Einsamkeit des Waldes. Hierher verirrten sich nicht einmal Pilzsammler.
    Ich beugte
mich über Burgers Körper und hielt dann kurz inne. Langsam zog ich ihm den
Plastikbeutel vom Kopf und sah im Licht der Taschenlampe in sein Gesicht. Oder
besser gesagt auf das, was davon übrig geblieben war. Ich empfand nichts. Er
war ein Widerling gewesen, und ich war mir sicher, seine Frau würde ihn nicht
über Gebühr betrauern. Ich leuchtete in dieses zerstörte Gesicht, in diese
Vernichtung. In diese Auslöschung. Sah über seinen in eine leichte grüne
Flanelljacke gehüllten, vollleibigen Oberkörper und ließ meine Augen
schließlich auf dem großen Blutfleck zwischen seinen Beinen ruhen.
    Es war so
gekommen, wie ich es vorausgesagt hatte. Burger war ein charakterloses,
menschenverachtendes Scheusal gewesen. Ohne Hemmungen war er über eine
wehrlose, in arger Not befindliche Frau hergefallen. Dass sie schön und berühmt
war, erhöhte nur seine Begierden. Wäre Clara ihm nicht zuvorgekommen, hätte er
sie mit Sicherheit getötet. Letztlich hatte Clara das erkannt. Wenngleich die
Erkenntnis sie zu spät erreichte. Die Erkenntnis, dass auch sie ein Tier war.
Und ein Tier sein musste, um in dieser grenzenlosen Erbärmlichkeit zu
überleben. Ich leuchtete ein letztes Mal

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