Clara
erst am Montag
wieder zu erreichen. Also hatte er den ehest möglichen Termin zur Konsultation
vereinbart. Bis dahin konnte er nicht viel machen.
Er liebte
Clara. Und er würde sie mit aller Macht zu beschützen versuchen. Verstehen
konnte er sie jedoch nur bedingt. Hätte sie ihn doch schon früher eingeweiht.
Ehe sie zur Polizei ging. Dann wäre dieser ganze Irrsinn, in den sie
hineingeschlittert waren, niemals so geschehen. Er war Realist genug, um die
unvermeidbaren Konsequenzen zu erkennen. Clara war völlig in der Hand dieses
Verrückten, der nur darauf wartete, sie im perfekten Moment bloßzustellen .
Sie zu zerstören, so, wie dieser Michael alles andere zerstört hatte.
Einschließlich sich selbst. Ja, dieser Plan war teuflisch. Das Opfer wurde zum
Mittäter. Ob es wollte oder nicht. Nur Claras Tod hätte diese Komplizenschaft
beendet. Die Aufzugstür öffnete sich. Er trat ein und drückte den Knopf zur
Tiefgarage. Thomas spürte die Gefahr, die ihm selbst drohte. Dieser Bach hatte
ihn nicht umsonst einweihen lassen. Dessen war er sicher. Aber die Ermittler,
die er engagieren wollte, verstanden ihr Handwerk. Und sie würden schon Wege
finden, wie man sich diesen Menschen vom Halse schaffen konnte.
Der Lift
hielt. Die Garage war beinahe leer. Viele Wiener flüchteten am Wochenende aufs
Land. Sein schwarzer BMW stand auf dem üblichen Stellplatz. Das grelle Licht
hier unten wirkte stets befremdlich auf ihn. Wie in einem dekontaminierten
Operationssaal. Ein weißer Pritschenwagen stand auf Nummer fünf. Diese Wohnung
war seines Wissens nach frei. Vielleicht war es jemand
im Auftrag des neuen Mieters. Ein Mann mit einem blauen Overall stieg plötzlich
aus. Schlug forsch die Tür zu. Dann hievte er eine Werkzeugtasche von der
Ladefläche. Einen Zollstock unter seinen rechten Arm geklemmt. Vermutlich ein
Pfuscher. Thomas ging auf sein Auto zu und drückte die ferngesteuerte
Zentralverriegelung. Der Mann kam an ihm vorbei. Er trug eine große
Schirmkappe.
»Guten Tag«,
murmelte er, an Thomas gerichtet. Der Zollstock fiel auf den Boden. Er ging
weiter.
»Sie haben
da etwas verloren !« Der Mann blieb stehen. Thomas
bückte sich. Mit dem Maßstab in der Hand richtete er sich wieder auf und wandte
sich zu dem Mann, der nun auf ihn zuschritt. Zu spät bemerkte er die große,
silberne Stange, die urplötzlich mit enormer Wucht auf seine Stirn niederfuhr.
Zweimal, dreimal. Bis er fiel.
2
Clara stand
mit ihrer großen Designersonnenbrille auf der Nase beim Kiosk an der
vereinbarten U-Bahn-Station. Sie hatte ihr Haar hochgesteckt und trug einen
kleinen Rucksack an der Seite. Thomas hatte diesen Treffpunkt gewählt, da hier
eine Ampel war und ein Fußgänger sehr leicht einsteigen konnte. Dieses Mal war
es ihr gelungen, die Presseleute abzuschütteln. Die waren dem Taxi von Thomas
gefolgt, der noch ein paar Sachen aus seiner Wohnung und sein Auto holen
wollte. Hoffentlich hatte er es auch geschafft, sie loszuwerden. Dann konnten
sie in Ruhe aus der Stadt fahren. Zu Verwandten von Thomas. Einfach weg. Weg
von diesen Aasgeiern. Weg von den ewigen Fragen. Weg von Wilhelm Bach. Sie
musste wieder einen klaren Kopf bekommen. Nachdenken. Entscheiden, was sie
weiter tun sollte. Ihre Zukunft war ungewisser denn je. Solange dieser Mensch
Druck auf sie ausübte, würde sie nicht zur Ruhe kommen.
Ungeduldig
blickte sie auf ihre Armbanduhr. Wo blieb er denn so lange? Sie dachte über
ihre Beziehung nach. War Thomas die große Liebe, die sie endlich gefunden
hatte? Oder war er nur ihr emotionaler Retter, der sie vor dem Absturz in ein
tiefes Loch bewahrte? Eine Gruppe Jugendlicher begann, den Eingang zur Station
in Beschlag zu nehmen. Ausreißer, die sich mit Schnorren über Wasser hielten.
Clara wich bis an die Gehsteigbegrenzung zurück. Sie schloss ihre Augen. Sehnte
die Ferne herbei. Sie hatte Angst vor allem, was nicht ins Bild passte. Clara
war entfremdet. Hatte den Kontakt verloren. Michael tauchte gedanklich vor ihr
auf. Mit seinem ganzen Pessimismus. Mit seiner ganzen Abscheu. Mit seiner
ganzen Lebensverneinung. Ja, der Keller war wieder da. Ringsherum. Überall.
Clara kramte
ihren neuen BlackBerry heraus. Wählte Thomas’ Nummer.
Die Mobilbox meldete sich. Es musste etwas passiert sein. Oder hatte er es sich
anders überlegt? Hatte er alles nochmals überdacht? Oder war er aufgehalten
worden? Von der Presse? Von der Polizei? Oder von Wilhelm Bach? Es fröstelte
sie bei diesem Gedanken. Was sollte sie tun?
Weitere Kostenlose Bücher