Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
dem Teppich. »Fettle hat mir den Hund weggenommen«, heulte sie. Ihre Stimme war kratzig vom vielen Weinen. »Sie hat ihn mir weggenommen. Ich hasse die Fettle. Ich habe ins Bett gemacht. Also wollte ich, dass Fettle mir trockene Laken bringt, aber als sie so etepetete das Gesicht verzogen hat, da habe ich sie geohrfeigt und aus dem Zimmer geworfen. Und da hat sie den Hund mitgenommen.« Cassandra presste ihr Gesicht in Rubys Fell. »Der Hund war das einzig Gute. Das einzig Gute.«
Die drei Kinder schauten verlegen weg. Das Nachthemd der alten Frau war bis zu den Knien hochgerutscht und gab den Blick auf ihre fleckigen Beine frei.
Cassandra heftete ihre Augen auf Clara. »Er ist weg, oder? Du hast ihn zerstört.«
»Ja, er ist weg.« Clara formte mit den Fingern eine Klammer, als würde sie einen Ball halten. »Ich habe den Stein zum See gebracht und er ist in lauter kleine Stücke zersprungen. Er ist zerstört.«
Cassandra deutete auf den Spiegel. »Die andere Hexe ist auch weg. Schaut! Sie ist nicht mehr da!« Sie sagte das in einem so gebieterischen Ton, dass die drei Kinder gehorsam in den Spiegel blickten.
Er zeigte nichts außer ihren Gesichtern und der Einrichtung des Zimmers. Lizzie Rose schnüffelte unauffällig. Der Geruch nach heißem Metall war ebenfalls verschwunden.
»Sie ist weg«, wiederholte Cassandra heiser. »Und der Feueropal ist zerstört. Er war meine Macht … und meine Schönheit … und du hast ihn getötet.« Sie blitzte Clara durch einen Tränenschleier hindurch an. »Er war alles, was ich hatte. Und trotzdem hat er mich nicht glücklich gemacht, überhaupt nicht.« Plötzlich verzerrte blanke Wut ihr Gesicht. Sie ließ den Hund los, ballte die Hände zu Fäusten und hämmerte so heftig auf die Matratze, dass Ruby vom Bett sprang.
»Es war eine Täuschung«, kreischte sie. »Alles eine Täuschung! Alles Trug und eine einzige Qual! Ich konnte Menschen dazu bringen, zu tun, was ich wollte … ich konnte in ihr Innerstes sehen … aber es hat mir keine Freude bereitet … nicht einen einzigen Moment des Glücks! Nichts von alledem … rein gar nichts … hatte irgendetwas Gu–«
Sie brach mitten im Wort ab und ihre Augen funkelten. »Da ist noch etwas, oder? Ihr verschweigt mir noch etwas.«
»Der Turm ist eingestürzt«, setzte Parsefall an.
»Das weiß ich«, blaffte Cassandra. »Ich habe es gehört. Er vermodert schon seit Jahren. Also, was ist es?«
Lizzie Rose schloss einen Moment lang die Augen. Zaghaft sagte sie: »Mr Grisini …«
»Er is’ tot«, brachte es Parsefall zu Ende. »Er is’ im See ertrunken.«
Cassandra warf den Kopf zurück und brach in Gelächter aus. Auf einmal wirkte sie um Jahre jünger und sie kicherte wie ein schadenfrohes junges Mädchen. »Das freut mich. Ich bin froh, dass er tot ist! Gebe Gott, dass er in der Hölle schmort!«
Sie holte so scharf Luft, dass der Atem tief in ihrer Kehle pfiff. »Ich war sechsundvierzig, als ich Grisini kennenlernte. Sechsundvierzig – ein hervorragendes Alter für eine Frau, um sich zum Narren zu machen. Und Grisini war dreiundzwanzig! Dreiundzwanzig! Zu glauben, er könnte mich lieben … denkt bloß, was für eine Närrin! Er war nicht in der Lage, irgendjemanden zu lieben. Und nie war irgendjemand in der Lage, mich zu lieben, nie …« Sie wischte sich mit dem Handgelenk die Nase ab. »All die anderen – die Männer in der Vitrine –, die habe ich verzaubert. Doch dann tauchte Grisini auf und ich dachte … ich glaubte daran! Aber er begehrte meine Zauberkräfte, nicht meine Liebe. Er hat mir den Feueropal gestohlen, und ich habe ihn mir zurückgeholt. Oh, und wie ich ihn dafür bestraft habe! Ich ließ ihn bluten, oh ja, das tat ich! Ich war die Stärkere. Ich konnte Menschen dazu bringen, zu tun, was ich wollte. Er konnte nur die Fäden seiner Puppen ziehen!« Cassandra betrachtete Clara düster. »Er hat dich verwandelt. Aber dafür kann ich nichts. Und dir …« – ihre Miene veränderte sich, als sie Parsefall ansah; einen flüchtigen Moment lang lag tiefe Traurigkeit in ihren Augen – »… dir hat er den Finger verstümmelt. So etwas hätte ich nie getan. Er war schlimmer als ich.«
Schon war ihr Trübsinn wieder wie weggefegt. Sie lachte laut auf und warf ihre Hände in die Höhe. »Ach, aber was für ein schöner Mann er mit dreiundzwanzig war! Dieses unglaublich junge Gesicht, diese scharf geschnittenen Züge und dann dieses eigentümliche, kalte Lächeln … und wie elegant
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