Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
aufkeimende Hoffnung. Mrs Pinchbeck war keine respektable Person und sie trank, das war nicht zu übersehen. Bei ihrem letzten Treffen hatte er ihr leichtfertigerweise einen Sovereign gegeben. Höchstwahrscheinlich war sie gekommen, um ihm mehr Geld abzuluchsen. Er beschloss, seine Worte gut abzuwägen und einen klaren Kopf zu bewahren, aber in seinem Magen verspürte er ein aufgeregtes Kribbeln.
Dr. Wintermute wurde nicht lange auf die Folter gespannt. Schon rauschte Mrs Pinchbeck am Butler vorbei ins Zimmer. Mit hoch erhobenem Haupt und nach hinten gedrückten Schultern blieb sie in der Mitte des Raums stehen, als wäre sie im Begriff, vor den Bühnenvorhang zu treten, um sich vor dem applaudierenden Publikum zu verbeugen. Die Pose gab Dr. Wintermute die Möglichkeit, ihre Garderobe genauer in Augenschein zu nehmen.
Er verspürte einen hysterischen Drang, laut loszulachen. Bei seiner ersten Begegnung mit Mrs Pinchbeck hatte sie ihn in einem fleckigen Morgenrock und mit Lockenpapier im Haar empfangen. Dieses Mal hatte sie sich alle Mühe mit ihrer Aufmachung gegeben und die Wirkung war elektrisierend: Sie trug ein stiefmütterchengelbes Kleid, wie es für ein sechzehnjähriges Mädchen angemessen gewesen wäre, und dazu eine kurze Jacke, die sich nicht über der Brust zuknöpfen ließ. Beide Kleidungsstücke waren üppig mit billigen Posamenten aufgeschmückt: Vor Dr. Wintermute stand eine mit Federn, Bordüren, Krinoline, Korsett, Kräusellocken und Festons herausgeputzte Mrs Pinchbeck – gewaschen hatte sie sich allerdings nicht. Mit einer gewissen Anstrengung bewahrte er eine ernste Miene. »Bitte nehmen Sie Platz, gnädige Frau.«
Mrs Pinchbeck wählte einen weichen Sessel vor dem Kamin. »Ihr Butler hat versucht, mir zu erzählen, dass Sie nich’ zu Hause sind. Hat mit mir geredet, als wär ich gewöhnlich. Aber ich hab ihm gesagt, er soll mich mal besser vorlassen. Wie Sie mir das letzte Mal einen Sovereign gegeben haben, hab ich ihm erzählt. Und wenn Sie mir ’nen Sovereign geben, wenn ich nix zu erzählen hab, dann wollen Sie mich ganz sicher sprechen, wenn ich was weiß.« Sie hob die Hand. »Also schön! Ich behaupte nich’, dass ich weiß, wo Ihre Tochter is’, denn das tu ich nich’. Dahingegen habense mich das letzte Mal, wie wir uns gesehen haben, nach der kleinen Lizzie Rose gefragt. Also bringe ich Ihnen was, das wo Sie vielleicht geradewegs zu ihr führt. Oder am Ende sogar zu Mr Grisini.«
Dr. Wintermute griff in seine Tasche, worauf Mrs Pinchbeck sich kerzengerade aufrichtete und ihren Kopf zurückwarf wie ein Pferd, das sich gegen das Zaumzeug wehrt. »Sir, Sie beleidigen mich! Glaubense bloß nich’, ich wär hergekommen, weil ich Geld abstauben will! Oh nein! Wenn ich wissen täte, wo Ihre Tochter is’, würde ich es Ihnen sagen und keinen Schilling würd ich dafür nehmen! Nich’ mal ’nen Farthing! Nich’ mal, wenn ich am Verhungern wär! Ich mag eine arme Frau sein, Sir, aber ich habe ein Herz!« Sie kam schwerfällig auf die Beine, warf einen entrückten Blick zum anderen Ende des Zimmers und legte sich eine Hand auf ihren wogenden Busen.
Dr. Wintermute blinzelte. Sein letzter Theaterbesuch lag Jahre zurück und er begriff nicht, dass ihm ein Tableau präsentiert wurde. »Verzeihung, gnädige Frau. Bitte setzen Sie sich doch wieder«, sagte er entschuldigend.
Mrs Pinchbeck nahm Platz. Sie wirkte ein wenig verschnupft und Dr. Wintermute ahnte, dass seine Reaktion irgendwie nicht vollends ihren Erwartungen entsprochen hatte.
»Sie wollten mir etwas mitteilen«, ermunterte er die Frau.
»In der Tat, Sir.« Mrs Pinchbeck griff in ihr Dekolleté und zog ein verknittertes Stück Papier hervor. »Sie sagten, falls ich irgendwas über Lizzie Rose oder den Jungen rausfinde, dann soll ich Ihnen das sagen und Sie würden mir wieder einen Sovereign geben. Was nich’ der Grund ist, warum ich hier bin, Sir, aber das isses, was Sie gesagt haben.«
Dr. Wintermute streckte seine Hand aus, und es kostete ihn all seine Selbstbeherrschung, ihr nicht einfach das Papier zu entreißen. »Sie haben einen Brief?«
»Einen Brief nich’, Sir. Einen Umschlag. Adressiert an Gaspare Grisini.« Sie glättete ihn und hielt ihn so, dass er die Schrift lesen konnte. »Er is’ an ’nem Ort mit Namen Strachan’s Ghyll, Windermere, abgeschickt worden, das is’ oben im Norden. Ich hab mir erst nix dabei gedacht, als ich ihn entdeckt hab. Ich fühlte mich gerade ’n bisschen blümerant und ich hab
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