Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
nach der … der Arzneiflasche gesucht, Sir. Und da hab ich gesehen, dass einer der Hunde sich unter’m Sofa vergessen hat, und ich hab mir eine von den alten Schürzen von Lizzie Rose genommen, um die Sauerei aufzuwischen. Und da hab ich durch den Stoff was Hartes gespürt, und das war der Umschlag. Ich hab mir erst nichts gedacht, weil ich musste mich ja auch um die Hunde kümmern – die vermissen das Mädchen, Sir, so viel steht fest, und das Haus is’ in ’nem Zustand, Sie täten es nich’ glauben …«
Dr. Wintermute konnte sich nicht länger beherrschen. Er riss ihr den Umschlag aus den Händen und studierte den Poststempel. »Der Brief wurde an Professor Grisini geschickt, als er schon verschwunden war.«
»Das is’ mir ebenfalls aufgefallen, Sir«, pflichtete Mrs Pinchbeck ihm bei. »Aber jemand hat den Umschlag geöffnet, und das muss Lizzie Rose gewesen sein, weil ich war’s nich’ und der Junge kann nich’ lesen. Aber erst bei dem, wo der Pfandleiher mir erzählt hat, bin ich ins Grübeln gekommen … denn das lässt sich nich’ leugnen, ich mach harte Zeiten durch, jetzt, wo die einen Mieter weg sind und Mr Vogelsang mit der Miete im Rückstand is’. Also wie ich gerade sagen wollte, hat mir Mr Grimes, der Pfandleiher, erzählt, wie Lizzie Rose kurz vor Weihnachten bei ihm reinkam und ’ne goldene Uhr verpfändet hat. Er meinte, es wäre ’ne kostbare Golduhr gewesen, und er hat gedacht, dass sie womöglich Mr Pinchbeck, meinem armen verstorbenen Mann, gehört hat. Aber Mr Pinchbeck hatte nie ’ne goldene Uhr und deshalb muss sie von Grisini gewesen sein. Er hatte ’n paar sehr hübsche Besitztümer, Grisini … Schmuck und Damensachen. Ich hab so’n Gefühl, dass er mal bessere Tage erlebt hat, der arme Grisini, und manchmal frag ich mich, ob ihn nich’ die Liebe von ’ner braven Frau hätte retten können.« Mrs Pinchbeck presste die Handflächen aneinander und verdrehte die Augen himmelwärts.
Dr. Wintermute hatte kein sonderliches Gespür für Mrs Pinchbecks theatralische Darbietungen, doch er erkannte, dass sie ihm das Bild einer braven Frau präsentierte. »Anbetungswürdig«, murmelte er und rätselte, was er damit eigentlich sagen wollte.
Mrs Pinchbeck wandte das Gesicht ab und machte eine kleine kreisende Bewegung aus dem Handgelenk, als würde sie ein Tablett mit Konfekt zurückweisen. »Oft hatte ich ja den Eindruck, dass Mr Grisini mich anbetete«, vertraute sie Dr. Wintermute an. »Allerdings könnte ich mich nie zu ’nem anderen Mann als Mr Pinchbeck hingezogen fühlen, Sir. Er war der einzige Mann, den ich je geliebt habe.« Sie schüttelte bekümmert den Kopf. »In der Blüte seines Lebens überfährt ihn ein Omnibus … darüber bin ich nie hinweggekommen und ich werde nie darüber wegkommen. Guter Gott, Sir, ich weiß, wie ein treues Herz sich vor Trauer grämt! Und deshalb bin ich hier, Sir.«
»Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet!« Dr. Wintermute suchte nach Worten des Mitgefühls für das Schicksal des seligen Mr Pinchbeck, doch es gelang ihm nicht, sich zu konzentrieren. »Sie wollten mir vom Pfandleiher berichten, gnädige Frau?«
»Aber das sagte ich doch bereits«, entgegnete Mrs Pinchbeck gereizt und rieb sich die Nase. »Mr Grimes hat mir erzählt, wie Lizzie Rose diese goldene Uhr verpfändet hat. Und dann wollte er wissen, wie ich bloß die zehn Pfund so schnell ausgegeben hab. ›Zehn Pfund!‹, hab ich zu ihm gesagt. Und er hat gesagt, ja, zehn Pfund hat er dafür bezahlt. Da hab ich ihm erzählt, von wegen, dass Lizzie Rose davongelaufen is’ und wie es mir das Herz bricht, dass ich ohne sie leben muss, und dass die Hunde sich so schlimm aufführen, wie Hunde sich nur aufführen können, Sir – und das ist beachtlich. Und Mr Grimes hat gesagt, dass das Mädchen sich nach Zügen Richtung Norden erkundigt hat, zu diesem Windermere auf dem Umschlag. Also hab ich mir gedacht: Da sind se hin – sie und der Junge –, und wer weiß, ob nich’ Grisini auch dort is’.«
Dr. Wintermute starrte auf den Umschlag in seinen Händen, der zitterte, als wäre er lebendig. Er zwang sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Es mag nichts zu bedeuten haben. Der Verbleib der beiden anderen Kinder hat womöglich gar nichts mit Clara zu tun.«
»Das ist richtig«, räumte Mrs Pinchbeck mit einer Klarheit ein, die ihn verblüffte. »Oder aber es bedeutet alles. Es is’ ’n Rätsel, wohin Ihre Tochter verschwunden is’, und es is’ ’n Rätsel,
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