Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
tut.«
Lizzie Rose rückte näher an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr. »Wir sollten es der Polizei erzählen.«
Parsefall packte ihr Handgelenk und drückte es warnend. »Wir können es den Bullen nich’ erzählen«, zischte er. »Es gibt nix zu erzählen. Wir wissen gar nix.«
»Wir wissen, dass Grisini die beiden anderen Kinder kannte, die verschwunden sind. Das muss etwas zu bedeuten haben«, wisperte Lizzie Rose zurück. »Vielleicht findet die Polizei heraus, was. Womöglich hilft ihnen das bei der Suche nach Clara!«
»Grisini bringt uns um«, stieß Parsefall panisch hervor. Er grub seine Fingernägel in ihre Hand. »Wenn wir ihn anschwärzen, bringt er uns um. Du kennst ihn nich’ so gut wie ich.« Er merkte, wie laut er wurde, und senkte die Stimme wieder. »Versprich mir, dass du nich’ zu den Bullen gehst.«
Lizzie Rose lief es kalt den Rücken hinunter. Sie würde überhaupt nichts versprechen.
11. Kapitel
Constable Hawkins
F ünf Nächte waren seit Claras Verschwinden vergangen. Constable Hawkins verließ die Polizeiwache und machte sich auf den Heimweg.
Er ging zügig, blieb aber wachsam. Es war einer jener Abende, an denen man die eigene Hand nicht vor den Augen sehen konnte, und er wusste, wie oft Menschen sich im dichten Londoner Nebel verirrten. Er hatte die Leichen von Menschen gesehen, die von Kutschen überrollt und von Pferden niedergetrampelt worden waren. Er hatte die Körper ertrunkener Londoner in Augenschein genommen, die man aus der Themse gezogen hatte. Constable Hawkins bahnte sich seinen Weg von Straßenlaterne zu Straßenlaterne und zählte die Querstraßen so gewissenhaft, als wäre er blind.
Der Nebel klumpte zu Schwaden und wurde lichter. Die Glocke einer nahen Kirche schlug Viertel nach zehn. Das spitze Kläffen eines Hundes war zu hören. Sämtliche Geräusche der Nacht – das Klappern der Hufe, das Knirschen der eisenbeschlagenen Räder auf dem Pflaster – klangen in der feuchten Luft verzerrt. Einen Augenblick lang glaubte er, jemand habe seinen Namen gerufen.
Eine Hand streckte sich im Nebel nach ihm aus. »Sir …«
Der Constable blieb stehen und presste seine Arme an den Körper, um sich vor Taschendieben zu schützen. Er spürte die Ungeduld, die in ihm aufflackerte. Seine Frau wartete mit dem Abendessen und er hatte Hunger. »Was gibt’s?«, fragte er barsch.
In dem schwindenden Nebel erhaschte er einen Blick auf die Person, die ihn am Ärmel gezupft hatte. Ein hochgewachsenes Kind mit rotem Haar, umringt von einem Pulk Hunde.
»Verzeihung, Sir … Constable Hawkins, nicht wahr?«
Die Sprache war gepflegt mit einem leichten walisischen Akzent. Mit einem Schlag erkannte der Constable, wen er vor sich hatte. »Aber das ist doch David Fawrs Tochter!«, rief er aus. Seine Miene wurde freundlicher. »Was machst du denn so spät hier draußen?«
Lizzie Rose überging die Frage. »Es ist schön, dass Sie sich an mich erinnern, Sir. Ich habe mich gefragt« – sie versperrte Punch, der versuchte, Ruby zu bespringen, mit dem Fuß den Weg – »ob Sie Neues von Miss Wintermute wissen? Der jungen Dame, die verschwunden ist. Ich wüsste gern, ob sie wieder nach Hause zurückgekommen ist.«
Das Lächeln des Constable erstarb. Er hatte eine harte Woche hinter sich. Dr. Wintermute war ein wohlhabender und einflussreicher Mann. Er hatte mit dem Innenminister Kontakt aufgenommen, der wiederum der Polizei in aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben hatte, dass Clara Wintermute schnellstens – und lebend – gefunden werden musste.
»Nein, sie ist nicht wieder aufgetaucht«, erwiderte er knapp.
Lizzie Roses Gesicht wurde lang. Sie senkte den Blick auf die Hundeleinen in ihrer Hand und rang mit sich. Der Constable trat einen Schritt näher. »Na, Miss Fawr. Gibt es da etwas, was du mir erzählen willst?«
Lizzie Rose schaute ihm kurz in die Augen und wieder weg. Er fasste sie am Arm und halb führte, halb zog er sie in den Lichtkegel der nächsten Straßenlaterne. Dort ging er ein wenig in die Knie, um ihr ins Gesicht zu blicken.
Sie wirkte ordentlicher zurechtgemacht als bei ihrer letzten Begegnung, obgleich das Ergebnis ihrer Bemühungen noch immer recht traurig war. Ihre Haube zierten neue Bänder und sie trug eine farblich passende Borte am Kragen. Die Federn an der Haube hingen nass herunter und der Mantel war abgewetzt.
»Du bist mir von der Polizeiwache aus gefolgt, richtig?«
»Nein, Sir«, sagte Lizzie Rose. »Das heißt … nicht
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