Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
das weinende Mädchen in die Arme schloss. »Na, na, du darfst dir das nich’ so zu Herzen nehmen. Gut möglich, dass der Wundarzt ihn wieder in Ordnung bringt.« Plötzlich veränderte sich ihr Tonfall. »Also, sag mal, was hast du denn da für einen garstigen Kratzer am Hals! Wo haste den her?«
Parsefall meldete sich zu Wort: »Grisini hat se geschlagen! Er hat auf sie eingeprügelt.«
Lizzie Rose befreite sich aus Mrs Pinchbecks Umarmung. »Parsefall hat mich verteidigt.« Sie lächelte unter Tränen. »Er hat gekämpft wie ein Löwe, Mrs Pinchbeck.«
Parsefell merkte, wie sich seine Lippen, ohne dass er es verhindern konnte, zu einem stolzen Grinsen verzogen.
»Gut gemacht«, sagte Mrs Pinchbeck anerkennend. »Er sollte sich schämen, eine hilflose Frau zu schlagen!« Ihre Miene wurde hart. »’s geschieht ihm recht, dass er die Treppe runtergefallen is’«, schimpfte sie. »Hätt’ er sich halt am Tau festgehalten«, fügte sie dann etwas zusammenhanglos hinzu.
»Er hat uns verfolgt«, berichtete Parsefall. Er hockte sich auf den Boden und blickte Lizzie Rose an. »Ich hab’s ihm gut gegeben, stimmt doch, Lizzie Rose?«
Sie nickte energisch. Dann verdüsterte sich ihr Gesicht. »Wo sollen wir jetzt hin?«
Mrs Pinchbeck schaute verständnislos drein.
»Wir können nicht nach oben«, erklärte ihr Parsefall. »Die Treppe is’ kaputt.«
»Ihr könnt heute Nacht bei mir bleiben«, verkündete Mrs Pinchbeck nach kurzem Nachdenken. »Lizzie Rose kann bei mir im Bett schlafen und du auf dem Sofa.«
»Schließen Sie auch die Tür ab, wenn Sie weggehen?«, bat Lizzie Rose flehend. »Falls er aufwacht und … wütend ist …?«
»Ich sperre euch ein«, versprach Mrs Pinchbeck. »Was auch geschieht, heute Nacht seid ihr vor ihm in Sicherheit.«
16. Kapitel
Der Morgen danach
L izzie Rose erwachte von Mrs Pinchbecks Schnarchen. Der hefige Geruch von Branntwein stieg ihr in die Nase und neben ihr wölbte sich die Bettdecke zu einem massigen Hügel. Irgendwann in der Nacht musste Mrs Pinchbeck unter die Decken gekrochen sein und sich in der Mitte des Betts breitgemacht haben. Ruby, die sich zum Einschlafen auf dem Kopfkissen zusammengerollt hatte, war auf den Fußboden umgezogen.
Lizzie Rose kniff fest die Augen zu und versuchte, noch einmal einzuschlafen. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, das sich verstärkte, während ihr die Ereignisse der vergangenen Nacht wieder in Erinnerung kamen. Grisini war ihr auf die Schliche gekommen und hatte sie geschlagen. Parsefall hatte ihn angegriffen, um ihr zu Hilfe zu kommen. Die Treppe war eingebrochen, Grisini gestürzt und am Kopf verletzt. Bei dem Gedanken daran, wie Grisini blutend auf den Stufen gelegen hatte, fing sie an zu zittern. Sie fragte sich, warum keiner von ihnen versucht hatte, die Blutung zu stillen. Hätte es ihm geholfen? Und falls er nun starb, war es dann ihre Schuld?
Sie konnte nicht länger ruhig liegen bleiben. Das Schnarchen ihrer Vermieterin zerrte an ihren Nerven, ja, es widerte sie an. Lizzie Rose schlüpfte aus dem Bett und ging auf Zehenspitzen zum Waschtisch. Sie hätte sich gern frisch gemacht, aber der Wasserkrug war leer.
Sie sah Mrs Pinchbecks Handspiegel auf der Kommode liegen und griff danach. Unter Verrenkungen bemühte sie sich, die Wunde an ihrem Hals zu sehen. Ein langer, tiefer Kratzer zog sich über den Nacken und war an einem Ende verschorft. Sie glaubte, ringsherum Blutergüsse zu erkennen. In dem dämmrigen Licht war das jedoch schwer zu sehen. Wenn sie ihre Zöpfe auskämmte, würde niemand die Verletzung bemerken, aber Lizzie Rose war sich nicht sicher, ob sie sie verbergen wollte.
Einerseits schämte sie sich, dass Grisini sie geschlagen hatte, andererseits wünschte sie sich, dass jemand sah, was er ihr angetan hatte, und um ihretwillen zornig wurde. Sie überlegte, was ihr Vater gesagt hätte, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Noch nie im Leben war sie so grob behandelt worden. Sie hatte mitbekommen, wie Grisini Parsefall geohrfeigt hatte, doch ihr waren solche Bestrafungen erspart geblieben. Gemocht hatte Lizzie Rose den Puppenmeister nie, aber sie hatte auch keine Angst vor ihm gehabt. Jetzt überlief es sie eiskalt, als sie daran dachte, was er ihr vielleicht antun würde, sobald er wieder bei Bewusstsein wäre.
Ruby winselte und scharrte mit den Pfoten an Lizzie Roses Knie. Sie beugte sich hinunter, um die Ohren des Hundes zu kraulen, und vergoss ein paar Tränen auf den seidigen Kopf.
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