Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
Aufräumen des Zimmers weniger chaotisch erscheinen würde. Als Parsefall mit der Hammelpastete zurückkehrte, wirkte das Wohnzimmer wie verwandelt. Im Kamin prasselte ein helles Feuer, die schlimmste Unordnung war beseitigt und der Tisch für drei Personen gedeckt.
Eine Stunde später kam Mrs Pinchbeck aus ihrem Schlafzimmer. Die Kinder hatten bereits gegessen und spielten vor dem Feuer Karten. Sie blickten auf und beinahe gleichzeitig platzten sie mit der Frage heraus: »Was ist mit Grisini passiert?«
Mrs Pinchbeck hielt sich am nächststehenden Lehnstuhl fest und schwankte theatralisch. Lizzie Rose sprang auf. »Oh, Mrs Pinchbeck, Verzeihung! Parsefall und ich waren nur so beunruhigt. Setzen Sie sich. Ich bringe Ihnen ein Stück Hammelpastete.«
Mrs Pinchbeck ließ sich schwerfällig auf einen Stuhl sinken. Lizzie Rose schenkte ihr eine Tasse Milch ein und brachte das letzte Stück Pastete. Es war kein besonders großes Stück, aber Lizzie Rose hatte all ihre Selbstbeherrschung aufbieten müssen, um es übrig zu lassen. Mrs Pinchbeck schien sich nicht sonderlich gut zu fühlen und betrachtete es ohne große Begeisterung. Sie warf einen Blick hinüber zu dem Tischchen, auf dem zuletzt die Ginflasche gestanden hatte. Doch die Flasche war durch einen Amor aus Porzellan auf einem Untersetzer aus Papierspitze ersetzt worden.
»Bitte, Mrs Pinchbeck«, fing Lizzie Rose wieder an, »erzählen Sie uns doch, was mit Grisini ist. Liegt er im Krankenhaus? Was hat der Wundarzt gesagt?«
Mrs Pinchbeck seufzte. »Ich weiß es nich’«, erwiderte sie ausdruckslos.
»Sie wissen es nicht?«, wiederholte Lizzie Rose.
»Ich hab’s gewusst«, rief Parsefall triumphierend. »Er is’ tot, stimmt’s?«
»Er is’ nich’ im Krankenhaus, und ich glaub nich’, dass er tot is’«, sagte Mrs Pinchbeck, »weil er nämlich letzte Nacht auf seinen zwei Beinen hier rausmarschiert is’.«
Die Kinder machten ein verdutztes Gesicht. Mrs Pinchbeck schob sich eine Gabel voll Pastete in den Mund und schluckte bedächtig. »Es war so. Nachdem ich euch letzte Nacht eingeschlossen hatte, hab ich mich in Richtung Church Street aufgemacht. Da wohnt ein Apotheker namens Whitby, und ich dachte, der wär vielleicht billiger als ’n Wundarzt. Nur dass ich auf dem Weg am Cock and Bottle vorbeigekommen bin und mir wieder eingefallen is’, dass ich Mr Whitby schon ein-, zweimal in dem Pub gesehen hab. Also bin ich rein und die Frau hinterm Tresen hat gerufen: ›Hör mal, Bella Pinchbeck, du bist ja weiß wie ein Laken!‹ Und: ›Bella Pinchbeck, du zitterst ja am ganzen Leib!‹ Und genau so war’s auch«, fügte sie nachdrücklich hinzu. »Ich war schon immer sehr empfindsam. Natürlich habe ich mich für euch zusammengenommen. Aber nach ’ner Weile war die Anspannung einfach zu viel für ’n armes, zartes Geschöpf wie mich, und ich bin ganz schwach und zittrig geworden und schwindelig wurde mir auch. Der Schock hat mich eingeholt.«
»Haben Sie den Apotheker gefunden?«, fragte Lizzie Rose taktlos.
»Hab ich nich’«, antwortete Mrs Pinchbeck schroff. »Und falls ja, hätt er sich Sorgen um mich gemacht. Ich hatte Krämpfe und Schwindelanfälle und was weiß ich nich’ alles. Noch nie habense jemanden so blass und zittrig gesehen, haben alle meine Freunde im Cock and Bottle gesagt. Und sie haben mich ans Feuer gesetzt und mir ein Glas Branntwein zu trinken gegeben. Damit ich wieder zu mir komm … gewissermaßen.«
Lizzie Rose blickte Parsefall an und Parsefall blickte Lizzie Rose an. Sie wussten jetzt schon, wie die Geschichte weiterging.
»Also hab ich ihn getrunken«, sagte Mrs Pinchbeck überflüssigerweise. »Und das war auch gut so, denn noch nie war ich in so ’nem Zustand. Der Schnaps hat gutgetan, aber ich war noch nich’ wieder ganz auf der Höhe, darum haben sie mir ’n bisschen was nachgeschenkt und sie haben mir befohlen, dass ich am Feuer sitzen bleib. Also bin ich sitzen geblieben und bis zur Sperrstunde ging’s mir wieder einigermaßen. Aber da war der Nebel inzwischen so schlimm, wirklich richtig schlimm, und ich hab’s nich’ gewagt, länger draußen rumzulaufen und nach der Church Street zu suchen – ich hätte ja in den Fluss fallen können. Also bin ich heim. Aber als ich die Tür aufgeschlossen hab, war Grisini weg. Er war nich’ mehr da.«
Die Kinder schwiegen. Sie dachten an die Blutflecke auf der Treppe. Wie war es einem Mann, der so viel Blut verloren hatte, gelungen, aufzustehen und
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