Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
geworden. Ich hätte Sie nicht erkannt.«
Grisini lächelte über diesen plumpen Versuch, ihn zu kränken. Sie hatten sich beide verändert, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Allerdings war Cassandra dreiundzwanzig Jahre älter als er und schlecht gealtert. Sie sah krank aus. Ihre Augen glänzten fiebrig und ihr Gesicht war unnatürlich rot. Grisini wählte seine Worte mit Bedacht. »Für mich sind Sie so schön wie eh und je.«
Das war in zweifacher Hinsicht beleidigend. Sie bleckte die Zähne und das ungesunde Rot ihrer Wangen vertiefte sich. »Wie können Sie es wagen, Gaspare! Ich hätte Sie sterben lassen können …«
»Und das hätten Sie gewiss auch getan, es sei denn, Sie wollten etwas von mir.« Er atmete flach ein. »Was wollen Sie, Cassandra? Sie haben mich herzitiert. Sie haben meinen Kopf verbunden, mich in einem außerordentlich prachtvollen Zimmer untergebracht … Das Haus muss ein Vermögen gekostet haben. Sie haben es zu etwas gebracht.«
»Was man von Ihnen nicht behaupten kann«, giftete sie. »Sagten Sie nicht, Ihnen sei vorbestimmt, ein großer Mann zu werden? Was ist aus Ihnen geworden?«
Grisinis Lächeln erstarb. »Ich habe nie nach den Dingen gestrebt, die Ihnen wichtig sind. Sie hatten schon immer eine hemmungslose Gier nach Luxus und Genuss, nicht wahr? Flitterkram und Federbetten und Konfekt zum Naschen. Während ich –«
»Ja, was ist mit Ihnen? «, stieß Cassandra hervor, und es klang wie eine Beleidigung. »Wonach haben Sie gestrebt?«
»Nach Wissen. Nach Geheimnissen. Ich habe mich den Studien der Magie gewidmet in Budapest, Paris, Prag … Mein Pech war, dass ich allzu gewagte Experimente durchführte und erwischt wurde. Ich habe vierzehn Jahre im Gefängnis gesessen.«
Er versuchte, es so klingen zu lassen, als wäre das etwas Heroisches. In Wahrheit war er an diesen vierzehn Jahren beinahe zerbrochen. Die gewaltsame Verhaftung war für ihn völlig überraschend gekommen. Man hatte ihn bewusstlos geschlagen und ihm die Gerätschaften abgenommen, die er für seine Zauber benutzt hatte. Noch immer verfolgten ihn die Jahre in Haft, der Hunger, die Zwangsarbeit, die Monotonie. Als er schließlich wieder freikam, hatte er sämtliche magischen Kräfte verloren.
»Warum saßen Sie im Gefängnis?«
Er machte eine knappe, ungeduldige Handbewegung. »Ich sagte doch schon: Ich habe experimentiert. Es kam zu einem Unfall und ein Kind ist gestorben.« Er sah, wie sich ihr Gesicht angewidert verzog. »Was? Schockiert Sie das? Seit wann sind Sie sentimental? Magische Kräfte gibt es nicht umsonst. Sie erfordern immer irgendein Opfer. Das sollten gerade Sie am besten wissen.« Er wechselte das Thema. »Was ist mit Ihnen? Wie haben Sie Ihre Zeit genutzt?«
Ein gehetzter Ausdruck erschien auf Cassandras Gesicht. »Ich habe das Familienvermögen der Sagredos verdoppelt«, erwiderte sie. »Ich bin gereist, habe gespielt, habe Einladungen gegeben. Männer haben mir den Hof gemacht und ich habe sie wie Schmetterlinge gesammelt. Ich habe Wunderwerke und Kuriositäten zusammengetragen. Und ich habe diese Burg errichtet.« Mit einer schwungvollen Handbewegung deutete sie auf die hohen Decken, die venezianischen Fenster und das mit Gold und Schnitzereien verzierte Mobiliar. »Es gibt keine Laune – keine einzige –, die ich mir nicht erfüllt habe.«
»Wie glücklich Sie sein müssen.«
Grisini hatte ins Schwarze getroffen. Sie erdolchte ihn mit Blicken, und er lachte in sich hinein, denn er erkannte, dass ihr Leben Last und Elend gewesen war. Sie schlang die Hände ineinander, als wollte sie ihm den Hals umdrehen. Erst jetzt bemerkte er, dass sie an der linken Hand einen Verband trug. Er verkniff sich eine Bemerkung und wiederholte seine anfängliche Frage: »Was wollen Sie, Cassandra?«
Grisini sprach ihren Namen so aus wie früher, indem er jede einzelne Silbe nachklingen ließ. Er erinnerte sich, wie er damit stets ihre Augen zum Leuchten gebracht hatte. Sie hatte sich gegen ihre Liebe zu ihm gewehrt wie ein Fisch am Haken, doch damals hatte er die Macht besessen, sie weich werden zu lassen.
Die Röte in ihrem Gesicht nahm zu. »In jener Nacht in Venedig, in der Nacht, als wir uns trennten, haben Sie etwas über den Stein gesagt, den ich am Hals trage. Sie sagten, Sie würden seine Geschichte kennen. Damals wollte ich nicht zuhören, aber jetzt schon. Sagen Sie mir, was Sie wissen.«
Grisini fragte sich, ob er sich dem Befehl wohl widersetzen konnte. So schwach er
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