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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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und hievte sie in die Droschke. Zu Parsefalls Kummer blieb sein Wagen zurück. Es war keine Zeit, ihn zu Mrs Pinchbecks Haus zurückzubringen, wenn sie den Nachtzug noch erreichen wollten.
    Die Reise schien einen recht guten Anfang zu nehmen. Der Kutscher manövrierte mit erstaunlicher Leichtigkeit durch den Londoner Verkehr. Erst als er sie am Bahnhof King’s Cross absetzte, nannte er ihnen seinen Lohn, eine so hohe Summe, dass selbst Lizzie Rose, die gern das Gute in dem Mann gesehen hätte, eingestehen musste, dass sie übers Ohr gehauen wurden. Sie sah keine andere Möglichkeit, den Kutscher abzustrafen, als seine Hilfe beim Ausladen des Gepäcks zurückzuweisen. Stolz reckte sie ihr Kinn vor und bedeutete Parsefall mit einem Nicken, die andere Seite der Weidentruhe anzuheben. Sie packte den zweiten Griff, umklammerte den Leinensack mit dem anderen Arm und stieg die Stufen der Kutsche hinunter. Gemeinsam schleppten sie das Gepäck in den Bahnhof.
    Im Inneren der Halle herrschte ein heilloses Durcheinander: jede Menge eiliger Menschen, Berge von Gepäckstücken und gewaltige Rauchwolken. Parsefall atmete die schwefelhaltige Luft mit kurzen Zügen ein wie ein nervöses Pferd. Lizzie Rose lotste ihn zum Fahrkartenschalter. Beherzt zog sie ihren Geldbeutel hervor und verlangte zwei Fahrscheine erster Klasse.
    Der Mann hinter dem Schalter machte ein erstauntes Gesicht. Er wusste stets auf den ersten Blick, mit welcher Sorte Fahrgäste er es zu tun hatte, und für ihn war offensichtlich, dass Lizzie Rose und Parsefall in einen Waggon dritter Klasse gehörten. Aber er verkaufte ihnen die Fahrscheine und rief einen Schaffner herbei, damit der sich um das Gepäck kümmerte. Der Mann führte die Kinder zum hinteren Ende eines langen Bahnsteigs, öffnete die Tür zu einem Zugabteil und wuchtete die Weidentruhe auf die Gepäckablage. Er wollte nach dem Leinenbeutel greifen, aber Lizzie Rose erklärte, dass sie ihn lieber auf den Schoß nehmen würde.
    »Is’ das Ru–«, wisperte Parsefall, doch Lizzie Rose bedeutete ihm, zu schweigen. Erst als der Schaffner fort war, gab sie zu, dass der Hund in dem Beutel steckte. Nein, sie hatte Mrs Pinchbeck nicht Bescheid gegeben, aber deshalb war es noch lange kein Diebstahl. Nein, sie wusste nicht, ob Tiere an Bord der Eisenbahn erlaubt waren. Sie hatte den Hund mit einer großen Untertasse voll Rum und Milch ruhig gestellt und hoffte, dass er die gesamte Reise über schlief.
    Parsefall war beeindruckt. Nach seinem Verständnis hatte Lizzie Rose einen Hund gestohlen und betrog die Eisenbahngesellschaft – beides Dinge, die er guthieß. Er lehnte sich behaglich in dem Lederpolster zurück und sah sich bewundernd in dem Erste-Klasse-Abteil um.
    Die Tür ging auf. Ein missmutig dreinschauender Mann mit einem Priesterkragen stieg ein und setzte sich ans andere Ende von Parsefalls Sitzbank. Als die Tür ein weiteres Mal geöffnet wurde, tauchten ein korpulenter Herr, seine mürrische Frau und ein Kindermädchen mit einem weinenden Baby auf. Der Mann runzelte beim Anblick der Kinder die Stirn und trat zurück auf den Bahnsteig, wo er mit gedämpfter Stimme einen ärgerlichen Wortwechsel mit dem Schaffner führte. Lizzie Rose schnappte die Worte Bettelkinder , schmutzig und höchst unpassend auf. Das Kindermädchen ließ sich mit dem Baby zwischen Parsefall und dem Geistlichen nieder, sehr zum Missfallen der beiden. Als schließlich noch der korpulente Herr und seine Frau Platz nahmen, war das Abteil voll besetzt.
    Die Schluchzer des Babys steigerten sich zu einem Gebrüll. Das Kindermädchen wippte das Baby in den Armen auf und ab und tätschelte es beruhigend, aber es ließ sich nicht trösten und schrie wie am Spieß. Parsefall verdrehte die Augen. Der Waggon erzitterte, dann ertönte ein lautes Pfeifen, gefolgt von einigem Rumpeln, und der Zug stampfte in die dunkle Dezembernacht.
    Parsefall spähte aus dem Fenster. Eine Rauchwolke und rot glühende Funken umgaben den fahrenden Zug. Das Gebrüll des Babys schwächte sich zu einem anhaltenden Wimmern ab, das zwar weniger schrill, aber nicht weniger zermürbend war. Parsefalls und Lizzie Roses Blicke trafen sich. Er legte seine Fäuste aneinander und machte grimmig eine ruckartige Drehung mit einer Hand. Lizzie Rose nickte mit nachdenklicher Miene.
    Mehrere Stunden vergingen, als plötzlich wieder ein Pfeifen erklang und Lichter in der Dunkelheit auftauchten. Türen wurden geöffnet und zugeschlagen. »Suppe!«, brüllte eine Stimme

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