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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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beschützte. Er dachte an den bulligen jungen Kerl zurück, der sie geküsst hatte, und es reute ihn, dass er dem Burschen keine ordentliche Abreibung verpasst hatte.
    Er dankte Gott, dass er doch nicht zur Polizei gegangen war, wie er angedroht hatte. Immerhin war es gut möglich, dass Lizzie Rose die Wahrheit sagte. Es konnte Grisini gewesen sein, der die Fotografie von Charles Augustus gestohlen hatte, oder vielleicht sogar der Junge vom Ebury Square. Wenn er sie ein weiteres Mal befragen würde – freundlich und geduldig –, dann würde sie ihm unter Umständen die Wahrheit in dieser Sache sagen. Zumindest könnte er sich für sein unbeherrschtes Benehmen entschuldigen, Geld für ihre dringendsten Bedürfnisse zur Verfügung stellen und dafür sorgen, dass der grobe Kerl sie nicht belästigte.
    Dr. Wintermute durchdachte diesen Plan noch einmal gründlich und stellte erstaunt fest, dass er ihn ein wenig erleichterte. Er schloss die Augen und schwor sich, gleich an diesem Tag erneut das Haus in der Danvers Street aufzusuchen.
     
    »Oh«, hauchte Lizzie Rose. Ihr Atem wurde zu weißlichem Dunst. Mit Ruby an der Seite ließ sie sprachlos den Blick über die weite Landschaft schweifen, in die der Bahnhof von Windermere eingebettet lag. Die Kinder hatten das letzte Stück der Reise verschlafen, und der Schaffner hatte sie wachgerüttelt. Jetzt standen sie übermüdet, durstig und steif vor Kälte auf dem Bahnsteig, die Weidentruhe zwischen sich.
    Sie waren in einer anderen Welt angekommen, einer Welt von lichter, unendlicher Weite. Alles wirkte fremd, majestätisch und unwirklich rein. Die Wiesen bedeckte eine gut sieben Zentimeter dicke, makellose Schneeschicht. Über den kalten blauen Himmel segelten weiße Wolken wie Galeonen und warfen ihre Schatten über die kahle, schneebedeckte Hügellandschaft, die den Bahnhof umgab. Mächtige Buckel erhoben sich einer hinter dem anderen wie eine Schule auf- und abtauchender Wale.
    Parsefall stieß einen Pfiff aus. Er hatte sich Windermere ähnlich wie London oder Leeds vorgestellt, eine weitere große Stadt mit rußgeschwärzten, dicht gedrängten Häuserzeilen. Jetzt schüttelte er ungläubig den Kopf. »Das is’ wie ein Bühnenbild«, sagte er schließlich. »Wie eine gemalte Kulisse.« Das war die größte Anerkennung, die man aus seinem Mund vernehmen konnte.
    »Das hätte ich mir nie träumen lassen …«, sagte Lizzie Rose. Ihr stockte die Stimme und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    »Hier gibt’s gar keinen Grund zum Weinen«, bemerkte Parsefall missbilligend.
    »Du hast recht«, stimmte Lizzie Rose zu. Sie wischte sich mit den Fingerspitzen über die Wangen. »Wir müssen uns eine Mietkutsche nehmen«, sagte Lizzie Rose und wandte sich in Richtung Bahnhofsgebäude.
    Doch da steuerte ein Mann in grober Jacke auf sie zu und sprach sie mit barscher, aber nicht unfreundlicher Stimme an. Lizzie Rose verstand kein Wort; nur zum Schluss glaubte sie etwas wie stroahns-gill zu verstehen.
    Sie brauchte einen Augenblick, um sich einen Reim darauf zu machen. Sie hatte gedacht, Strachan’s Ghyll würde strach-hans-guy-el ausgesprochen, nicht stroahns gill . Der Mann deutete kurz mit dem Daumen über seine Schulter auf eine Kutsche, vor die zwei fuchsbraune Pferde gespannt waren. Er wiederholte seine Frage: »Wollt ihr nach Strachan’s Ghyll?«
    »Ja, bitte«, erwiderte Lizzie Rose. »Das heißt, falls dort Mrs Sagredo wohnt. Sie hat uns zu sich eingeladen. Ich habe ihren Brief bei mir …«
    »Madama«, verbesserte sie der Mann und nahm seine Mütze ab. »Wir nennen sie Madama. Die Anrede ist ihr lieber. Sie hatte heute eine ihrer Eingebungen und so ein Gefühl, dass ihr ankommt.« Er rückte seine Mütze wieder zurecht, hob die Weidentruhe an und hievte sie auf seine Schulter, als würde sie gar nichts wiegen.
    Parsefall entfuhr ein kicksender Protestschrei. Der Mann grinste ihn an. »Na, na, reg dich nich’ auf! Es ist meine Aufgabe, euer Gepäck zu tragen, und ich lass die Truhe schon nich’ fallen. Ich bin Mr Fettle, der Kutscher. Und der Lakai, wenn Madama einen braucht. Meine Mutter ist die Haushälterin von Strachan’s Ghyll.«
    Parsefall warf Lizzie Rose einen nervösen Blick zu. Ihm gefiel die Sache mit Madamas Eingebungen nicht. Woher wusste die Frau, dass sie kommen würden? Lizzie Rose jedoch zog an Rubys Leine und sagte nur: »Los, Parsefall«, als wäre er verpflichtet, ihr zu gehorchen wie der Spaniel.



29. Kapitel

     
    Strachan’s

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