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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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weil sie ein dringendes Bedürfnis hatte. Lizzie Rose öffnete die Augen und setzte sich im Bett auf. Über ihrem Kopf war ein Baldachin aus cremefarbenem Leinen drapiert, bestickt mit allerlei Fantasievögeln. Sie befand sich im Weißen Zimmer von Strachan’s Ghyll.
    Schnell schlug sie die Decke zurück und glitt aus dem Bett. Neben dem Waschtisch entdeckte sie ihre Stiefel und schlüpfte barfuß hinein. Ruby sprang vom Bett und trabte zur Tür, um mit aller Deutlichkeit zu zeigen, dass sie jetzt nach draußen musste. Der Hund wusste genau, wie beschämend es wäre, im Haus eine Pfütze zu hinterlassen, und winselte flehentlich.
    Lizzie Rose sah sich suchend im Zimmer nach ihren Kleidern um. Es war dämmrig und sie konnte nicht sagen, wie lange sie geschlafen hatte. Sie tapste zum Fenster und zog die Vorhänge mithilfe einer Kordel auf.
    Draußen war die Sonne beinahe schon untergegangen. Vom Weißen Zimmer aus überblickte man eine abfallende Wiese, die am Lake Windermere endete. Der gefrorene See spiegelte die Farben des Himmels: Grau, Zartlila, Blassrosa und Flachsgelb. Die Bäume am Ufer warfen tiefe Schatten auf das Eis und säumten den See wie eine schwarze Borte. Während Lizzie Rose noch die Schönheit des Ausblicks bewunderte, gingen ihr die Ereignisse des Tages durch den Kopf.
    Sie waren erst an diesem Morgen auf Strachan’s Ghyll eingetroffen. Die Haushälterin Mrs Fettle hatte die Kinder mit drei Anordnungen begrüßt, die keinen Widerspruch duldeten. Erstens: Die Kinder würden Mrs Sagredo treffen, wenn – und nur dann – Mrs Sagredo sie zu sehen wünschte. Zweitens: Sie würden um zwölf Uhr ein frühes Mittagessen einnehmen. Und drittens: Nach dem Essen hätten sie ein Bad nötig. Bei diesem letzten Punkt rebellierte Parsefall. Noch nie in seinem Leben hatte er das Gefühl gehabt, ein Bad zu benötigen, und er schämte sich nicht, das laut auszusprechen. Doch bei Mrs Fettle stieß sein Protest auf taube Ohren. Da war es womöglich ein Glück, dass sich die angekündigte Mahlzeit als ein Festessen herausstellte: gebratenes Hähnchen mit Brotsauce, in Teig gebackene Äpfel und ein Pudding mit Orangenmarmelade.
    Die Kinder machten sich hungrig darüber her und tranken dazu eine große Kanne Tee, wobei sie großzügig Sahne in ihre Tassen kippten und die Zuckerschale leerten. Anschließend wurden sie nach oben geschickt, um ihr Bad zu nehmen. Lizzie Rose schlug schüchtern vor, dass sie ja zuerst baden und Parsefall dann ihr Badewasser nutzen könne, falls das weniger Umstände bereite. Sie könnten sich auch ein Zimmer teilen, schließlich seien sie Bruder und Schwester.
    »Du bist gar nich’ meine richtige Schwester«, knurrte Parsefall.
    Und Mrs Fettle machte dem Ganzen mit einem knappen »Höchst unschicklich!« ein Ende. Den Kindern wurden Zimmer an den entgegengesetzten Enden des Korridors zugewiesen.
    Den Magen voll Brathähnchen, übermüdet und ziemlich eingeschüchtert, sah Lizzie Rose zu, wie zwei mürrische Hausmädchen ihr Bad vorbereiteten. Paravents wurden vor dem Kamin aufgestellt, Frottiertücher, ein Schwamm und ein jungfräuliches Stück Pears’ Seife bereitgelegt, dann trug man Kanne um Kanne mit heißem Wasser die Treppe herauf. Sobald die Bediensteten gegangen waren, legte Lizzie Rose ihre Kleider ab und kletterte in die Wanne. Sie aalte sich schon in dem heißen Wasser und dem duftenden Schaum, als nochmals eines der Hausmädchen auftauchte, zielstrebig hinter die Paravents kam und Lizzie Roses schmutzige Kleidung einsammelte, was dieser unsäglich peinlich war. Ohne ein Wort zu sagen, verschwand das Mädchen mit dem Bündel und ließ stattdessen ein spitzenbesetztes Nachthemd zurück.
    Rubys Winseln steigerte sich jetzt zu einem jaulenden Crescendo. Hektisch schaute sich Lizzie Rose im Zimmer um. Sie konnte doch nicht in ihrem Nachthemd nach draußen gehen! Ihr Blick blieb an dem Kleiderschrank hängen. Womöglich fand sie darin einen Morgenrock oder sogar einen Umhang. Der Schlüssel steckte … Sie fühlte sich wie eine Diebin, als sie zum Schrank ging und ihn aufsperrte.
    Eine Wolke starken Parfüms stieg ihr in die Nase; es duftete nach süßen Moschusrosen, und dann war da noch ein anderer, eher metallischer Geruch, der sie an etwas oder jemanden erinnerte, den sie nicht mochte. Gleichwohl schlug der Inhalt des Schranks sie in seinen Bann. Hier gab es Kleider, wie sie es sich nicht hatte träumen lassen: aus schillerndem Taft und Seidenbrokat, indischem Batist,

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