Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
den Knauf klemmte. Der Stuhl war schwer, doch die Rückenlehne bestand aus einem durchbrochenen Muster mit kleinen Löchern in der Form von Kreuzen und Tropfen. Er war sich nicht sicher, ob sie halten würde, falls Grisini versuchte, mit Gewalt ins Zimmer zu gelangen.
Parsefall kehrte zum Kamin zurück und dabei fiel sein Blick auf den Puppengalgen. Claras gläserne Augen glänzten wie Wasser im Dunkeln und ihn beschlich das unheimliche Gefühl, dass sie ebenfalls geweint hatte. Er griff nach dem Spielkreuz. Seine Hände zitterten so heftig, dass Claras Körper an den Fäden vibrierte wie eine Gitarrensaite.
Er nahm sie in die Arme und ließ sich im Schneidersitz nieder. Dann setzte er Clara auf seinen Schoß und hielt Wache mit Blick auf die Tür. Allmählich glitt er mehr in eine liegende Position und schließlich schlief er ein.
Als er die Augen wieder aufschlug, fand er sich vor der Tür des Turmzimmers wieder. Es war noch immer Nacht, aber zu seinen Füßen stand eine Lampe. Und da war Clara, die nachlässig an der Wand lehnte. Er war dabei mit etwas Dünnem, Spitzem zu hantieren: zwei von Mrs Pinchbecks Haarnadeln aus Draht, die zu einem Dietrich verdrillt waren.
Parsefall benötigte ein paar Minuten, um sich bewusst zu machen, dass er wach war. Er musste geschlafwandelt sein und in diesem Zustand hatte er anscheinend den Entschluss gefasst, das Schloss zum Turmzimmer zu knacken.
Warum? Er starrte auf das Werkzeug in seiner Hand. Der Turm war gefährlich. Mrs Fettle hatte die Kinder davor gewarnt, ihn zu betreten, und Madama ebenfalls. Warum also wollte er da hinein? Es gab keinen Grund dafür. Trotzdem kniete er einen Augenblick später auf dem Boden und steckte den Dietrich ins Schlüsselloch.
Es handelte sich um ein einfaches Schloss. Grisini hatte ihm bereits als Siebenjährigem beigebracht, diese Sorte Schlösser zu knacken. Es dauerte keine Minute und Parsefall hatte die Tür geöffnet. Auf der Innenseite war ein schwerer Riegel angebracht: massives Eisen, knapp zwei Zentimeter dick. Irgendwoher hatte er das gewusst.
Er griff nach der Lampe. Doch nach dem ersten Schritt in den Raum blieb er wie angewurzelt stehen und schrie auf vor Entsetzen: Geister umringten ihn, gespenstische Kinder in weißen Gewändern. Parsefall wirbelte herum. Sie verfolgten ihn.
Es waren seine Spiegelbilder. Mitten in der Drehung blieb er abrupt stehen, nur seine Hand kam nicht so schnell zur Ruhe, sodass ein Meer zitternder Lichter zurückgeworfen wurde. Sobald er sich ganz sicher war, dass die Kinder keine Geister waren, holte er tief Luft und inspizierte den Raum genauer.
Es war eigenartig warm hier und unter seinen nackten Füßen spürte er Staub und Sand. Der Turm sollte nicht sicher sein und war deshalb unbewohnt. Parsefall prüfte, wie die Holzdielen auf sein Gewicht reagierten. Sie bogen sich ein bisschen, machten aber keinen so brüchigen Eindruck wie die Treppenstufen bei Mrs Pinchbeck. Und im Gegensatz zu Grisini war er leicht. Grisini würde vielleicht einbrechen, doch ihm konnte das nicht passieren.
Und sein alter Meister könnte ihm hierher nicht folgen. Selbst wenn er das Schloss knackte, wäre er nicht in der Lage, hereinzukommen. Der eiserne Riegel würde das verhindern, der Riegel, den man nur von innen vorlegen konnte. Parsefall ließ den Blick durch das düstere Turmzimmer wandern und nickte zufrieden. Hier konnte er schlafen, ohne sich fürchten zu müssen, dass Grisini ihm irgendeine grausige Überraschung bereitete.
Er begutachtete fachkundig die Spiegel. Sie eigneten sich hervorragend für die Proben mit den Puppen. Wenn er sich auf den Tisch stellte, könnte er ihre Bewegungen aus allen Blickwinkeln kontrollieren. Parsefall atmete aus. Zumindest vorläufig hatte er eine Art Zufluchtsort gefunden. Er würde das Bärenfell hierherbringen und Clara – natürlich Clara. Er stellte die Lampe auf dem Boden ab und ging hinaus auf den Gang, um sie zu holen.
34. Kapitel
Die Schatzsuche
L izzie Rose blieb unter dem steinernen Deckengewölbe des großen Saals stehen und schickte sich an, zur Erkundung des Hauses aufzubrechen.
Sie war überhaupt nicht in der Stimmung dazu. Schon beim Aufwachen war sie von Kopfschmerzen geplagt worden, und der stechende Geruch, der in den Räumen von Strachan’s Ghyll hing, machte es nicht besser. Die Erinnerung an das Treffen mit Madama am Vorabend war noch frisch: die abscheuliche alte Frau, der Messingaffe, der verstörend schöne rote Stein. Sie dachte
Weitere Kostenlose Bücher