Clara
eigentlich hin, aber dann war ich auf einmal ziemlich knapp bei Kasse.«
Stefan faßte ihren Oberarm. »Und warum sagst du mir nichts davon? Ich hätt’s dir doch geliehen, das weißt du ganz genau.«
Meike sah ihn unbehaglich an, Natalie kicherte in den Kochtopf. »Lieb von dir, Stefan«, meinte Meike schließlich, »aber besser nicht. Ich meine, das ist wirklich nett, aber mit dem Zurückzahlen … Ich kann mit Geld nicht so gut umgehen. Und jetzt ist es sowieso schon egal. Die Anmeldungen sind ja längst gelaufen. Aber im Sommer bin ich bestimmt wieder dabei, und wenn ich meine Oma anpumpen muß! War nämlich wahnsinnig stark letztes Mal.«
Das Essen war für zwanzig Leute berechnet gewesen, aber sie putzten es ohne Probleme zu zwölft weg. »Geht noch mal einer Baguette schneiden?« mampfte Stefan und wischte mit einem Brotstück den Saucenrest vom Teller. »Lecker!«
»Wo steckt eigentlich Ralf?« Auch Sebastian sprach mit vollem Mund. »Wollte der nicht die Fahrt zum Christival mit vorbereiten?«
Jan, der neben ihm saß, hob die Schultern. »Keine Ahnung. Jedenfalls war der am Freitag auch schon nicht hier, obwohl er versprochen hatte, mir ein paar Motorradprospekte mitzubringen.«
»Vielleicht hat den ja auch die Grippe erwischt«, sagte Stefan. »Ich rufe morgen mal bei seinen Eltern an.«
Obwohl es ziemlich spät war und sich alle satt und träge fühlten, das Spülen und Aufräumen Ewigkeiten gedauert hatte, schafften sie es noch, die Fahrt zum Christival auf dem Papier zu organisieren: die Zeiten für die An- und Abreise standen fest, die Zelte konnten beschafft werden, die Verpflegung war aufgeteilt, Stefan würde den Bus bestellen. Jetzt standen sie alle an der Garderobe und packten sich warm ein.
»Ich hab’s für Clara mit aufgeschrieben«, hielt Christian Stefan zurück, der schon seinen dicken Schlüsselbund in der Hand hatte. »Soll ich ihr den Zettel eben noch bringen? Ich meine, ich komme ja sowieso bei ihr vorbei.«
Stefan streifte seinen Handschuh ab, schob den Ärmel hoch und sah auf die Uhr. »Ist wohl schon ein bißchen spät, meinst du nicht? Fast elf. Also, ich würd’s nicht mehr machen. Das hat doch auch noch Zeit.«
Christian war noch nie auf dem Albershof gewesen. In der Schloßstraße stieg er vom Fahrrad und versuchte sich zu orientieren: Wo war der Eingang? Das Hauptgebäude sah aus wie ein Herrenhaus, glatt verputzt, hellgelb gestrichen, mit einem Turm an der Rheinseite, einer Freitreppe und einem dunkelgrünen, verschnörkelten Portal. Nach rechts und nach hinten schlossen sich Ställe und Wirtschaftsgebäude an, zur Straße hin eine hohe Mauer. Durch einen kleinen Torbogen gelangte man auf den Innenhof und zum Portal, über dem eine schwere, eiserne Laterne leuchtete. Christian stellte sein Rad ab und zog Mütze und Handschuhe aus. Als er durch das Tor kam, schlug wütend ein Hund an. Er zuckte zusammen und blieb erschrocken stehen. Im Halbdunkel erkannte er einen weißen Spitz, der an einer Hundehütte festgemacht war und sich zähnefletschend in die Kette warf. Im Flur ging jetzt das Licht an. Es war eine saublöde Idee gewesen, um diese Uhrzeit noch hier aufzukreuzen, aber jetzt war es zu spät.
Er war die Treppe zum Eingang noch nicht ganz hochgestiegen, als die Tür aufgezogen wurde und Claras Mutter heraustrat. Er kannte sie vom Sehen – sie half bei Gemeindefesten und im Altenheim aus und übernahm auch oft die Lesung in der Kirche. Sie war ein ganzes Stück größer als er, stellte er fest, als er jetzt dämlich grinsend vor ihr stand, eine grobe Frau, streng, mit ihren straff zum Knoten gesteckten Haaren. Aber ihre Augen blickten sanft und freundlich, als sie ihn erkannte. »Du gehörst zum Jugendkreis!«
»Ja. Ich wollte nur Clara einen Zettel bringen, wegen der Fahrt zum Christival im Mai«, antwortete er wie ein dummer Junge und hielt ihr das Blatt wie einen Entschuldigungszettel hin.
»Wer ist denn da, Marianne? Ist was passiert?« Claras Vater kam in den Flur.
Die Mutter drehte sich beschwichtigend um. »Nein, nein, es ist nur ein Freund von Clara aus dem Jugendkreis, Lieber. Er will einen Zettel bringen.«
Der Vater brummelte etwas vor sich hin und verschwand wieder.
»Clara«, begann Christian fahrig. »Ich meine, wie geht es ihr denn? Wir machen uns alle Sorgen.«
»Ja«, antwortete Frau Albers betrübt. »Es geht ihr gar nicht gut.«
»Kann ich sie vielleicht ganz kurz besuchen?« Christian hatte so viel Mut zusammengenommen, daß er seine
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