Clara
gegangen, und jetzt kann ich auf einmal nicht mehr aufhören.«
»Sie sollten sich von der Klausur morgen befreien lassen.«
Sigrid schüttelte heftig den Kopf. »Das pack ich schon!«
Astrid legte ihr die Hand auf die Schulter. »Kann ich noch mal kurz mit reinkommen? Ich würde gern diese Barbara-Hefte aus Ralfs Zimmer mitnehmen.«
9
Das kleine Haus neben der Kirche mußte wohl das Pfarrhaus sein. Astrid stieß das grün lackierte Gartentor auf und ging den Kiesweg entlang zur Tür. An der Klinke hing ein Schildchen: Das Pfarramt ist zur Zeit nicht besetzt. Sie schellte trotzdem. Allzu spät war es ja noch nicht, erst kurz vor sieben, und wenn sie schon mal in Griethausen war, konnte sie auch gleich mit dem Pfarrer sprechen, der Ralf Poorten ja offenbar gut gekannt hatte.
Es tat sich nichts, keiner zu Hause. Vielleicht war der Mann ja in der Kirche. Ob es auch während der Woche Abendmessen gab? Das Hauptportal war verschlossen. Langsam ging sie über holperiges Gras um die kleine Kirche herum. Es war zu dunkel, hoffentlich trat sie nicht in irgendein Loch. Da mußte es doch einen zweiten Eingang geben.
Die schmale Holztür war nicht abgeschlossen. Astrid spähte hinein. Es war reichlich finster, nur ein paar kleine Lampen in den Seitenschiffen leuchteten matt, natürlich brannten Kerzen.
Der Mann stand oben in der Nähe des Altars und fummelte an einem hochbeinigen Schränkchen herum. Ob das ein Tabernakel war? Sie schloß die Tür möglichst laut, und er drehte sich auch sofort zu ihr um, machte aber keinerlei Anstalten, ihr entgegenzukommen. Es widerstrebte ihr, quer durch das ganze Kirchenschiff zu grüßen und sich vorzustellen. Also ging sie rasch durch den Mittelgang und lief die Stufen zum Altarraum hinauf.
»Guten Abend«, sagte er ruhig.
Er war jünger, als sie erwartet hatte, Anfang Vierzig erst, und sehr groß. Er trug eine schwarze Hose und einen weichen, schwarzen Rollkragenpullover. »Pastor Heisterkamp?« fragte sie.
Er nickte freundlich.
»Steendijk, Kripo Kleve.«
Sein Händedruck war schlaff.
»Über Ralf Poorten wollen Sie etwas wissen?« Er hatte sie mit hinunter ins Seitenschiff genommen und ihr einen Platz in der ersten Bank angeboten. »Das war ein ganz prima Junge.«
»Wie lange kannten Sie ihn?«
»Seit über zwölf Jahren, seitdem ich die Stelle hier angetreten habe. Ralf war von Anfang an einer meiner Treuesten, ein lieber Kerl, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Deshalb kann ich auch gar nicht glauben, was Sie mir da gerade erzählt haben. Verprügelt? Könnte es denn nicht doch nur ein Unfall gewesen sein?«
»Nein, sicher nicht, Herr Heisterkamp. Kennen Sie Ralfs Freunde und Bekannte? Mit wem war er in seiner Freizeit zusammen?«
»Da kann ich Ihnen nun leider gar nicht weiterhelfen. Ralf war ein ausgesprochener Einzelgänger. Sein Motorrad war sein Hobby, würde ich sagen, und für Boote hat er sich natürlich interessiert. Ich muß allerdings gestehen, daß unser privater Kontakt in den letzten Jahren recht spärlich war.«
»Was ist mit Haus Barbara?«
Er guckte erstaunt. »Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
»Man hat mir erzählt, daß Sie Ralf den Kontakt dorthin vermittelt haben.«
Der Pastor lachte. »Den Kontakt vermittelt? Nein, das ist nicht richtig ausgedrückt. Ich habe ihm erzählt, daß es eine solche Einrichtung gibt und was dort für großartige Arbeit geleistet wird. Wissen Sie, Ralf schien mir damals ziemlich orientierungslos, wie viele Jugendliche in dem Alter. Außerdem war er einfach zu scheu.«
»Welcher Art ist denn die Arbeit, die im Haus Barbara geleistet wird? Es handelt sich um eine katholische Einrichtung, habe ich gehört.«
»Ja, das ist ganz richtig, und ich bin froh, daß wir bei uns im Kreis so etwas haben, mit sehr guten Leuten übrigens, die in ihrer Aufgabe Erfüllung finden.«
»Und was ist ihre Aufgabe?« Astrid gab sich Mühe, ihre Ungeduld zu zügeln. Bis jetzt hatte er nur griffige Leerformeln geliefert.
»Haus Barbara konzentriert sich auf die Jugend. Es gibt andere Häuser mit anderen Schwerpunkten, alte Menschen, Familien, Ehepaare, aber hier ist es die Jugendarbeit. Sie sind der Jugend selbst ja noch nicht lange entwachsen, nicht wahr? Und Sie erinnern sich bestimmt gut, wie schwer es ist, in der heutigen Zeit Jugendlicher zu sein. In einer Zeit völliger Sinnentleerung. Mit all den Gefahren, die von außen auf einen einstürmen: Drogen, Verrohung.«
Jetzt kommt noch der voreheliche Sex, dachte Astrid, aber
Weitere Kostenlose Bücher