Clara
der kam nicht.
»Im Haus Barbara zeigt man der Jugend den Weg zu Gott«, fuhr er fort. »Macht ihr klar, daß nur Gott dem Leben einen Sinn geben kann, zeigt den Weg auf. Die Menschen erfahren dort die Kraft und die Freude, die aus einer christlichen Gemeinschaft erwachsen.«
Astrid wollte nichts mehr hören. Sie lächelte, so verbindlich, wie es ihr eben möglich war, und stand auf.
»Warten Sie.« Heisterkamp nahm sanft ihren Ellbogen. »Ich bringe Sie hinaus. Nicht daß Sie mir noch in der Dunkelheit stolpern. Sie sind übrigens nicht katholisch«, stellte er fest.
Sie schaute zu ihm hoch. »Sieht man mir das an der Nasenspitze an?«
»Nein, da nicht«, meinte er amüsiert. »Aber ich habe es schon gesehen, als Sie reingekommen sind. Ein Katholik würde niemals so in den Altarraum stürmen.«
»Ja, und geknickst habe ich auch nicht. Ich war Protestantin.«
»War?«
»Ja, ich bin schon vor Jahren ausgetreten.«
In seinen Augen blitzte es kurz auf. »Und nun protestieren Sie nicht mehr?«
»Oh doch, aber ich mache das jetzt freiberuflich.« Sie ärgerte sich, daß es so aufmüpfig klang.
Christian legte die Decke über die mageren Schultern des alten Mannes und stopfte sie behutsam fest. »So, Opa, und jetzt ist es höchste Zeit zu schlafen.«
»Ach, mein Jung, danke. Wenn ich dich nicht hätte, war ich schon lange nicht mehr.« Seine Stimme war matt, die Laute verwischt.
»Jetzt mach aber mal halblang, Opa!« Christian tätschelte ihm die Wange. »So fit, wie du immer noch bist.«
Opa Czesnik kicherte. »Ich und fit! Kann ja nicht mal mehr alleine die Zeitung lesen.«
»Das hat man in deinem Alter auch nicht mehr nötig. Dafür hat man seine Leute, das siehst du doch.«
Der Mann nickte dankbar und schloß die Augen. »Gib Clara einen Kuß von mir«, flüsterte er.
Christian lächelte verschmitzt, setzte sich auf den Bettrand, faltete leise die Zeitung zusammen und wartete auf die flachen Atemzüge, die ihm sagten, daß Opa eingeschlafen war. Dann stand er auf und strich dem Mann noch einmal über die Stirn. Sie war kühl und trocken heute. »Bis morgen«, flüsterte er und ging hinaus.
In der Halle traf er die Krankenschwester. »Schläft er?«
»Ja«, nickte Christian. »Er war sehr ruhig heute.«
»Der Arzt hat ihm vorhin was gegen die Schmerzen gegeben. Danach ist er immer sehr müde.«
Christian holte Mantel, Schal und Handschuhe aus dem großen Wandschrank. »Bis morgen.«
»Ja, bis morgen«, antwortete die Schwester, »und danke.«
Er schloß sein Fahrrad auf und sah zur Kirchturmuhr hoch. Fast sieben. Wenn er pünktlich in Grieth sein wollte, mußte er kräftig in die Pedale treten. Sie würden heute mit der ganzen Gruppe ein Chili kochen und dann beim Essen die Fahrt zum Christival näher planen.
Der Arzt gab Opa Czesnik höchstens noch drei, vier Wochen. Wie würde es wohl sein, wenn er nicht mehr da war? Christian konnte sich das gar nicht vorstellen. Ob der Sohn aus Berlin wohl zum Begräbnis kam? Bisher hatte der sich nicht blicken lassen, noch nicht mal angerufen, bloß zum 80. Geburtstag eine Karte: Mein lieber, guter Vater … Christian schnaubte bitter. Seine Alten waren doch keinen Deut besser! Solange seine Mutter ihre Eltern gebraucht hatte, als Babysitter für ihn und Olli, waren sie gut genug gewesen. Dann hatte Großvater den Schlaganfall gehabt und war nicht mehr auf die Beine gekommen. Hatte das irgendwen geschert? Sein Alter hatte sich schon vorher abgesetzt, um ein eigenes Leben anzufangen mit seinem scharfen Betthasen, so als hätte es vorher nichts gegeben. Und seine Mutter hatte sich auch einen Dreck um ihre Eltern gekümmert, mußte sich selbst verwirklichen in ihrem Job und mit dem abgefahrenen Freund, um es dem Alten zu zeigen. Und Oma stand jetzt ganz allein da mit dem kranken Mann. Sogar ihr Haus hatten seine Eltern verkauft, obwohl Großvater ihnen dafür die Hälfte von seinem eigenen Grundstück geschenkt hatte. Ihm wurde ganz schlecht bei all dem. Olli hatte überhaupt keine Beziehung zu den Großeltern, dem machte das alles nichts aus. Aber was machte dem schon etwas aus? Obwohl, so langsam mußte der doch auch mal den Durchblick kriegen, schließlich war er auch schon fast fünfzehn. Der schwamm einfach immer mit dem Strom, ließ sich von Mama dirigieren, war genauso gut oder schlecht Papas Kind, wenn es angebracht war. Die neue Wohngemeinschaft fand er »affenscharf«, hatte er mehrfach versichert und gegrinst wie immer. Wenn man ein richtiges
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