Clara
Rettung, wirklich. Es ist nur … eigentlich müßte es jetzt sofort sein.«
Der Verkäufer schloß die Augen und schüttelte langsam den Kopf.
»Es würde nur ein paar Minuten dauern, ehrlich. Ist gleich um die Ecke«, quengelte Heinrichs und lächelte sein liebenswürdigstes Lächeln. »Bitte!«
Der Mann ließ sich einwickeln. »Ich könnte den Chef ja mal fragen. Wenn es nicht so lange dauert.«
»Nein, bestimmt nicht. Es ist gleich da drüben im Polizeipräsidium, erster Stock.«
Der Verkäufer schnappte nach Luft und verschluckte sich.
»Keine Sorge«, klopfte ihm Heinrichs fürsorglich den Rücken. »Reine Privatsache. Bleibt ganz unter uns. Großes Ehrenwort!«
Um kurz nach halb elf machte sich Heinrichs auf den Weg zum Rhein. An der Telefonzelle in Warbeyen hielt er an, wählte die Nummer vom Büro und lauschte stolz der Ansage, die er vorhin selbst aufs Band gesprochen hatte.
Beim Campingplatz am Grietherorter Altrhein traf er auf Ackermann.
Beide hatten dieselbe vielversprechende Entdeckung gemacht, und Ackermann hatte sogar eine Polaroidkamera dabei.
»Ob das wohl Clara sein soll?« fragte sich Astrid.
Sie stand mit Toppe auf dem Deich und sah sich die Kapelle an. Es war nicht schwer gewesen, sie zu finden, überall im Ort standen Hinweisschilder.
»Ans Kreuz genagelt?« antwortete Toppe zweifelnd. »Wohl kaum. Vermutlich ist das Ding einfach mißlungen. Nach fachmännischer Schnitzarbeit sieht das nicht aus.«
Am Fuß des Kreuzes standen zwei Vasen mit erfrorenen Rosen. Rundherum lagen Plastikgestecke und Sträuße aus Tannengrün und Seidenblumen. Kerzen brannten, sicher an die hundert.
»Komm«, nahm er ihre Hand, »hier zieht es wie Hechtsuppe.«
Aber Astrid blieb stehen und betrachtete das Gebäude links von ihnen. »Das muß dann der Albershof sein. Sieht eher wie ein Herrensitz aus.«
Das große zweistöckige Haus mit dem Turm war frisch gestrichen und hatte ein flammneues Dach. »Die scheinen Geld zu haben.«
»Ich weiß nicht«, meinte Toppe und stieg die Stufen hinab, froh, endlich in den Windschatten zu kommen. »Guck dir doch mal den Rest an.«
Er hatte recht, die Wirtschaftsgebäude waren viel bescheidener, alt, teilweise ziemlich runtergekommen.
Sie standen vor einem verschlossenen Gatter mit einem gelben Schild: Privatweg. Durchgang verboten.
»Gut, dann gehen wir zurück zur Straße und benutzen den Haupteingang.«
Die Frau, die ihnen öffnete, war um die Sechzig und sehr groß. Ihr grau gesträhntes Haar hatte sie zu einem festen Knoten geschlungen.
»Kriminalpolizei?« Die wasserblauen Augen wurden rund vor Schreck.
Toppe steckte seinen Ausweis wieder ein. »Kein Grund zur Sorge. Wir möchten nur kurz mit Clara Albers sprechen. Ist das Ihre Tochter?«
»Ja. Mit Clara?« Ihre Hände zitterten. »Kommen Sie doch … Lieber Himmel, mein Braten!« schrie sie, drehte sich um und stürzte ins Haus.
Im Flur mischte sich der betäubend süße Duft von Hyazinthen mit dem Geruch von scharf angebratenen Zwiebeln. Neben der Haustür hingen ein Weihwassergefäß und ein einfaches Holzkreuz, hinter dem ein vertrockneter Palmzweig steckte. Rechts und links zwei geschlossene Türen, weiter hinten lag die Küche, in der Frau Albers verschwunden war.
Die beiden folgten ihr. Aus der Kasserolle, die sie von der Herdplatte gezogen hatte, qualmte es noch. »Ich hatte gerade das Fleisch für heute mittag angebraten«, entschuldigte sie sich und goß vorsichtig Wasser in den Topf. »Setzen Sie sich doch, bitte.«
An dem schweren Eichentisch hätten zwölf Leute Platz gefunden, aber es standen nur acht Stühle da.
Marianne Albers machte das Fenster ein Stück auf und kam dann zu ihnen.
»Es tut mir schrecklich leid«, sagte sie unglücklich, »aber Sie können im Moment nicht mit unserer Clara sprechen. Sie ist schwer krank.« Tränen traten ihr in die Augen, aber sie schluckte tapfer und setzte sich. »Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein.«
»Wir ermitteln im Mordfall Poorten«, begann Toppe.
Sie nickte.
»Kannten Sie den Jungen?«
»Nein. Ich weiß wohl, daß er zu unserem Jugendkreis gehört hat. Es kann auch sein, daß ich ihn schon mal in der Gemeinde getroffen habe, aber ich kenne nicht alle Jugendlichen beim Namen.«
»Clara hat Ralf Poorten gut gekannt«, sagte Astrid. »Hat er sie nicht mal hier zu Hause besucht?«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Wir nehmen an, daß Ralf eine besondere Beziehung zu Ihrer Tochter hatte. Er besaß ein Foto von ihr.« Astrid schob es
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