Clara
Egal, er mußte es einfach versuchen.
Der Köter hechelte, gab aber sonst keinen Mucks von sich.
Sein erster Versuch traf die Hauswand, zu hoch und zu weit links. Der zweite klappte – tack. Christian hielt die Luft an und wartete, aber nichts tat sich. Auch das nächste Steinchen traf die Scheibe – tick. Manche Sachen verlernte man eben nicht. Sein Herz klopfte noch härter.
Als er zum dritten Wurf ansetzte, gingen überall auf dem Hof die Lampen an. Der Hund warf sich geifernd in die Kette, aber Christian konnte sich nicht rühren.
»Was willst du hier?« dröhnte es von der Haustür. Claras Bruder kam die Treppe runtergesprungen und baute sich vor ihm auf. »Dich kenne ich doch!«
»Ja.« Christian hatte unwillkürlich den Kopf eingezogen. »Ich gehöre zum Jugendkreis. Ich wollte Clara besuchen.«
Werner Albers packte ihn bei der Schulter und funkelte ihn böse an. »Sag mal, Freundchen …« Wenigstens brüllte er nicht mehr. »Warst du nicht neulich schon mal hier, auch mitten in der Nacht?«
Christian schüttelte die Hand ab und trat einen Schritt zurück. »Es ist doch noch nicht mal neun Uhr.«
»Noch nicht mal neun Uhr! Weißt du, wie das auf ’nem Hof ist, he? Um halb fünf ist für mich die Nacht rum. Da liegst du noch mit dem Arsch im Bett. Wenn du hier also Besuche machen willst, dann komm gefälligst zu ’ner anständigen Zeit. Und jetzt sieh zu, daß du Land gewinnst.«
»Ist ja gut«, murrte Christian. »Ich bin ja schon weg.«
»Was ist denn hier los?« Das war Claras Mutter, die in der Tür stand und ins Licht blinzelte. »Was schreist du denn so, Werner? Das geht doch nicht. Denk doch an das Kind.«
Albers fluchte irgendwas in ihre Richtung.
Langsam kam sie die Treppe herunter. »Bist du das, Christian?«
»Ja. bitte, entschuldigen Sie.«
»Wolltest du dich nach Clara erkundigen?«
»Ja.«
»Ihr geht es immer noch nicht besser. Der Arzt war eben noch da.«
»Jetzt ist aber Schluß hier!« fuhr Werner Albers dazwischen. »Ich hab dem Burschen schon gesagt, daß wir um diese Zeit ins Bett gehen. Und deshalb: auf Wiedersehen.«
Christian schluckte, nickte wortlos und machte, daß er wegkam. In der geballten Faust hatte er immer noch die Steinchen.
Den Heimweg schaffte er in einer neuen Rekordzeit. Als er zu Hause ankam, war ihm schlecht.
Auch hier war alles dunkel. Selbst aus Olivers Zimmer war kein Laut zu hören. Der verpennte noch sein halbes Leben.
Christian zog sich nicht aus, legte sich einfach so aufs Bett und schloß die Augen. Verdammt, warum war ihm bloß so kodderig? Und kalt war’s hier!
Ein Auto fuhr auf den Hof. Er lauschte – Vater. Sein Magen knurrte. Kein Wunder, er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, und auch da nur ein Joghurt und eine halbe Schnitte. Wahrscheinlich war ihm deshalb so mies.
In der Küche füllte jemand Wasser in den Kessel. Astrid vermutlich, sie kochte sich abends oft noch einen Schlaftee. Er stand auf und tappte auf Socken nach unten. Sie war allein.
»Hallo. Ist mein Vater nicht da?«
Es war warm und schummerig, sie hatte nur das kleine Licht über dem Herd angeschaltet.
»Der hat sich schon hingelegt. Aber er ist bestimmt noch wach, wenn du mit ihm reden willst.«
»Schon gut.«
»Du siehst bleich aus. Ist dir schlecht? Deine Lippen sind ganz weiß.«
Er nickte und wußte nicht, was er sagen, ob er sich setzen sollte.
Der Teekessel brummelte, und Astrid nahm ihn schnell von der Platte, bevor er pfeifen konnte und goß das Wasser in die Kanne.
»Soll ich dir was Warmes machen? Du hast doch bestimmt wieder nichts gegessen?«
»Du mir?« Er lachte rauh. »Warum solltest du mir wohl was zu essen machen?«
Sie fuhr herum und stemmte die Hände in die Seiten. »Weil du so aussiehst, als hättest du es nötig. Weil jeder Mensch ab und an mal jemanden braucht, der ihm was Warmes macht.«
Er setzte sich und lehnte den Kopf nach hinten gegen die Wand. »Danke.«
Sie sagte nichts mehr, stellte die schwere Pfanne auf den Herd, gab Fett hinein und wartete, bis es brutzelte. Dann Schinken, vier Eier. »Willst du auch Käse drauf?« drehte sie sich zu ihm.
»Mmh.« Sie sah schön aus. Und plötzlich war das Bild wieder da, das er seit Tagen wegschob: wie sie an seinem Vater hinabglitt, wie sie vor ihm kniete, wie sie …
Er kniff die Augen fest zu.
»Du warst sauer, daß wir heute beim Jugendkreis waren«, meinte sie, als sie ihm den Teller hinstellte.
»Und bei den Exerzitien warst du auch«, nickte er und nahm ihr
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