Clara
»Ich glaube, daß Clara ihm viel bedeutet hat. Ich denke sogar …«
»Kann ich mir nicht vorstellen«, fiel ihr Frau Günther ins Wort, lächelte aber sofort entschuldigend. »Es liegt auf der Hand, daß Sie daran denken, aber nein, das würde Clara nicht in den Sinn kommen. Sie ist von klein auf anders geprägt worden durch die Familie, durch das ganze Umfeld. Eine entscheidende Rolle spielt wohl ihr Bruder Ludwig. Der ist Priester in Bad Kreuznach, fast zwanzig Jahre älter als Clara, und zu ihm hat sie eine sehr enge Beziehung, immer schon gehabt. Gerade in den letzten Monaten ist er oft hier gewesen, und die beiden sind stundenlang über den Deich spaziert und haben geredet.«
Sie schaute an Astrid vorbei. »Ich weiß nicht, aber jetzt, wo Sie es ansprechen … Vielleicht orientiert sich Clara in letzter Zeit wirklich ein wenig mehr nach außen. Wenn ich sie so angucke, dann wirkt sie ein bißchen freier, lockerer irgendwie. Aber gut, sie ist siebzehn. Da kippt die ganze Chose vermutlich vom wunderbaren Kind zur wundertätigen Frau. Ich frage mich, ob sie wohl nach dem Abitur in ein Kloster geht. Das war jedenfalls mal im Gespräch.«
Sie sah Astrid wieder mit diesem frechen Blick an. »Können Sie mir erklären, warum sie dann überhaupt das Abi macht? Ich glaube, ich muß dringend mal wieder mit dem Kind reden.«
»Im Moment ist Clara krank«, sagte Astrid, »irgendein Virus. Deshalb habe ich auch noch nicht mit ihr sprechen können.«
Sie sah wieder zu den Pilgern hinaus, die sich endlich anschickten zu gehen. »Grieth macht offensichtlich ganz gute Geschäfte mit ihr.«
Ursula Günthers Lachen klang fast bitter. »Oh ja, und es wird täglich mehr. Ich wollte mir schon ein Schild ins Fenster hängen: ›Ich war ihre Lehrerin und Vertraute‹ und mich dann, gegen Entgelt, versteht sich, mit den Pilgern fotografieren lassen. Wäre doch ein nettes Zubrot, oder was denken Sie?«
Ackermann ließ sich vorn am Bug genüßlich den Wind um die Nase pfeifen. »Als alter Segler darf ich dat ja nich’ sagen«, brüllte er nach hinten.
»Wie?« Schneider, der am Ruder stand, legte die Hand hinters Ohr. »Ich kann nichts verstehen.«
»Euer Böötken is’ ga’ nich’ so ungeil«, kam Ackermann nach hinten. »Sach, kannste nich’ noch ’n kleinen Zacken zulegen? Muß man doch ma’ ausnutzen, dat man Bulle is’ un’ brettern kann wie ’ne gesengte Sau.«
Schneider lachte nur und zog schnittig an einem holländischen Frachtschiff vorbei. Der Matrose in der Kajütentür sah neugierig zu ihnen hinunter.
Ackermann winkte mit großer Geste und brüllte aus voller Kehle: »Gute Jagd, ihr Himmelhunde! Mensch, Philip! Haben sie dich auch wieder rausgejagt?«
Der Matrose schrie irgendwas zurück und zeigte ihnen seinen Mittelfinger.
»Kaaskopp!« schnaubte Ackermann. »Wat versteht der schon vom deutschen Film? Wenn wer ’n bisken mehr Gischt hätten, kam ich noch besser wie der Kaleu Prochnow.«
Schneider hatte keine Miene verzogen. »Rohr eins bewässern?« fragte er.
»Eins un’ drei, würd ich sagen«, freute sich Ackermann und schlug Schneider auf die Schulter. »Du bis’ richtich, Kollege.«
Schneider drehte bei und hielt auf die Hafeneinfahrt zu. »Wird Zeit für mich. Du hast doch jetzt alles gesehen, oder?«
»Für heut muß et gut sein.«
»Und im Hafen brauchst du dich nicht mehr umzutun. Wir sind hier schon bei Kilometer 852.«
»Jau, is’ klar, weiß ich. Ab morgen bin ich auf unsere Seite zugange. Heißt dat bei euch auch Gönnekant?«
»Wie sonst?«
»Nich’, dat ich dir auffe Zehen treten will, aber et is’ schon ’ne Schand, dat so ’n netter Kerl wie du in so ’nem Stinknest wohnen muß«, grinste Ackermann und duckte sich schnell.
19
Toppe konnte froh sein, daß er noch einen freien Tisch erwischte. Die ganze Busladung Pilger hatte sich im Restaurant zum Mittagessen eingefunden. Zwei ältere und offenbar gestandene Kellnerinnen hatten Mühe durchzukommen.
Die unfreundlichere knallte ihm im Vorbeigehen die Tageskarte auf den Tisch: »Komme sofort.«
Es gab eine Vorsuppe, Schokocreme als Nachspeise, und man hatte die Auswahl zwischen vier Hauptgerichten. Die Luft war feucht von Essensdünsten, und ihm war es viel zu laut.
Er winkte. Die Kellnerin nickte giftig über ihrem beladenen Tablett, aber er hatte Astrid gemeint, die am Eingang stand und sich suchend umblickte. Sie erreichte seinen Tisch gleichzeitig mit der Serviererin. »Bitte«, hatte die schon ihren Block
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