Clara
nicht«, entgegnete Toppe, »aber wie sich Katholizismus auf das Denken und Fühlen und das tägliche Leben von Menschen auswirkt, das habe ich erlebt. Gabi war bestimmt kein großer Kirchgänger, aber sie hatte ganz schöne Spuren in sich. Schuld und Sühne, diese glatte Verbindung, Sünden und Buße, der strafende Gott, all das sitzt so tief, daß man kaum rankommt.«
Heinrichs beschloß, noch einen Cognac zu trinken.
Bonhoeffer sah Astrid an. »Mir ist diese Clara gar nicht so unverständlich. Du sagst, ihre Familie ist tief religiös, sie hat immer in dieser engen Umgebung gelebt, ihre nächste Bezugsperson ist der Bruder, der Priester ist. Schon als kleines Kind hat man sie zu etwas Besonderem, Großartigem stilisiert. Wie soll sie es da schaffen, einen Blick von außen drauf zu werfen?«
»Aber«, beharrte Astrid, »sie geht in eine normale Schule mit ganz normalen Gleichaltrigen. Dort wird sie doch mit Büchern konfrontiert, mit Philosophie, mit Literatur, die nichts mit ihrem Glauben zu tun hat, ihn vielleicht sogar in Frage stellt.«
»Sie selbst würde ihn nie in Frage stellen«, sagte Bonhoeffer.
»Guck dir doch mal den Hochadel an«, wandte Toppe ein. »Bei denen ist es modern geworden, ihre Kinder auf ›normale‹ Schulen zu schicken. Deshalb bleiben die aber doch trotzdem abgehoben, sind sich ihrer Rolle oder Aufgabe, oder was weiß ich, bewußt.«
»Oder nimm die musikalischen Wunderkinder«, überlegte Bonhoeffer. »Selbst wenn die mit Gleichaltrigen zu tun haben, entsteht kein echter Kontakt. Diese Kinder leben in ihrer eigenen, scheinbar wirklichen Welt, und die meisten von ihnen sind emotional verkümmert und bleiben unreife Menschen.«
Astrid wehrte sich. »Von Clara wird genau das Gegenteil gesagt. Sie reden von ihrer unendlichen Liebe, ihrem Verständnis für andere, ihrer Wärme, ihrer Zuversicht.«
Bonhoeffer verzog das Gesicht. »Was für scheußliche Worthülsen! Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß das Mädchen die Chance hat, aus ihrer Rolle und mittlerweile auch ihrem Selbstverständnis rauszukommen. Eine normale Schule schafft das nicht. Da müßte schon was Drastisches passieren.«
»Und der Mann aus dem Altenheim sagt, Clara hätte mit Ralf Poorten geknutscht. Das paßt doch hinten und vorn nicht zusammen!«
»Bist du sicher, daß der Alte sich das nicht nur aus den Fingern gesogen hat?« fragte Toppe.
»Nein«, seufzte Astrid, »da bin ich überhaupt nicht sicher. Ich wünschte, ich könnte endlich mit Clara selbst sprechen.«
Ackermann platzte vor Tatendrang und hätte hüpfen mögen vor Begeisterung: wenn er sie brauchte, seine Jungs von den ›Rubber Duckies‹, dann waren sie auch zur Stelle, Manni, Joe, Keule und Taff jedenfalls. Schon zu Volksschulzeiten waren sie wie Pech und Schwefel gewesen und hatten Kranenburg unsicher gemacht, später dann hatten sie Feten gefeiert und waren mit den Weibern um die Häuser gezogen, die Duckies. Auch heute noch trafen sie sich regelmäßig alle drei Monate in der alten Kneipe, tranken sich einen, sangen den Rubber-Ducky-Song, immer noch dreistimmig, und schwärmten von alten Heldentaten. An dem Termin wagte auch die militanteste Gattin nicht zu rütteln.
Aber die Zeiten waren immer schlechter geworden für Heldentaten, deshalb waren die vier wohl auch sofort Feuer und Flamme gewesen, als Ackermann mit seiner Idee kam.
Er schaute auf seine Armbanduhr. »Halb elf, Freitach abend. Wenn dat nich’ der ideale Zeitpunkt is’. Sieht so aus, als könnten wer loslegen, Jungs.«
Sie standen unter der Laterne vor Lambertz’ Kneipe und betrachteten den Plan der Gemeinde Grieth, den Ackermann sich irgendwo besorgt hatte. An verschiedenen Stellen waren dicke grüne Punkte eingezeichnet. »Dat sind die markanten Plätze, an denen ihr operieren sollt«, erklärte Ackermann. »Ich stell mich ’n bisken abseits un’ schreib mir auf, wat ich so seh. Besonders laut müßt er nich’ sein, aber man soll et schon hören. Also, macht mir keine Schande, Kumpels!«
Keule gab ihm einen kräftigen Knuff. »So wat verlernt man doch nich’, Jupp!«
Markierte Schlägereien, die waren mal ihre Spezialität gewesen. Damit hatten sie schon so manchen Kneipenwirt oder braven Bürger geschockt, in Kranenburg, und als sie älter wurden auch in Kleve und Nimwegen. Und sich kaputtgelacht, wenn jemand eingreifen wollte. Der besondere Kitzel war gewesen, auf den letzten Drücker, aber noch rechtzeitig zu verschwinden, bevor die Bullen anrückten.
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