Clara
gesehen hat«, sagte Astrid.
Christian schüttelte stumm den Kopf.
»Doch. Und er sagt auch, die beiden hätten geknutscht.«
Der Junge blickte auf seine gefalteten Hände, die Knöchel wurden weiß. »Kann ich mir nicht vorstellen, Clara und Ralf. Das kann einfach nicht sein! Clara … nein«, entgegnete er gequält.
Norbert van Appeldorn hätte seine Aktion am liebsten schon vor Tagesanbruch gestartet, aber dafür wollte sich der Staatsanwalt nicht erwärmen lassen. Wie der Einsatz konkret ablaufen sollte, hatte van Appeldorn wohlweislich nicht mit Stein abgesprochen.
Die sechs uniformierten Kollegen machten ihre Sache denn auch wirklich gut. Wie sie den Einsatzwagen mit quietschenden Reifen auf dem Hof zum Stehen brachten, wie die Türen an beiden Seiten aufglitten, wie sie alle gleichzeitig heraussprangen und sich in Sekundenschnelle rechts und links von der Eingangstür postierten, all das hätte jedem Unterrichtsfilm alle Ehre gemacht.
»Könnte man sagen, daß Sie vielleicht ein klein wenig übertreiben, lieber van Appeldorn?« fragte Stein, aber man hörte, daß er sich nur mit Mühe das Lachen verkniff.
»Das einzige, was ich wirklich bedauere, ist, daß es hier keine Nachbarn gibt«, meinte van Appeldorn und streckte die Hand nach der Klingel aus. »So ein kleiner Menschenauflauf käme noch besser.«
Mühlenbeck war nur einen kurzen Moment lang sprachlos, dann spuckte er Gift und Galle. »So etwas muß ich mir nicht bieten lassen! Ich rufe meinen Anwalt an.«
»Das bleibt Ihnen selbstverständlich unbenommen«, entgegnete Stein gelassen. »Aber einstweilen werden wir unsere Arbeit erledigen. Meine Herren«, forderte er die sechs Beamten mit einer einladenden Handbewegung auf, »Ihr Kollege van Appeldorn wird Ihnen zeigen, was er benötigt.«
Magda Mühlenbeck stand auf der Treppe und rang die Hände. »Wir sind doch keine Verbrecher«, flüsterte sie.
»Das muß sich erst noch rausstellen«, meinte van Appeldorn im Vorbeigehen und schüttelte den Kopf über ihren Aufzug. Die Tunika hing schlapp an ihrem Körper und hatte die Farbe eines alten Feudels.
Sie räumten das ganze Büro leer, kein Blatt Papier, das sie nicht mitnahmen.
»Gibt es noch weitere Unterlagen im Haus?« wollte Stein wissen.
»Nein!« bellte Mühlenbeck zurück.
»Davon würde ich mich lieber selbst überzeugen«, drängte van Appeldorn, und Stein nickte dazu.
Die Polizisten schwärmten aus, und van Appeldorn bekam die Gelegenheit, einen Blick in die »Gästezimmer« zu werfen, die ihn stark an die Zellen für die U-Häftlinge im Präsidium erinnerten: nackte Wände, blanker Steinboden, eine gemauerte Pritsche mit einer dünnen Matratze.
Mühlenbecks Privaträume waren nur wenig bequemer ausgestattet. Ein Schlafzimmer mit Doppelbett, Schrank und Gebetbank. Im zweiten Zimmer ein Tisch, zwei Stühle, ein Sofa, ein Schreibtisch. Auch darin nur christliche Schriften, Entwürfe für Seminarprogramme, keinerlei private Korrespondenz. Es gab keinen Fernseher, nicht einmal ein Radio.
Im winzigen Badezimmer, eine halbe Treppe tiefer, gab es nur ein Klo und ein Waschbecken, auf einem Brett einen Rasierapparat, ein Stück grünliche Seife und eine Haarbürste. Die beiden Handtücher waren grau und hart.
Van Appeldorn kehrte in die Halle zurück. Stein stand mit dem Rücken gegen die Haustür gelehnt und schaute ihm fragend entgegen.
»Nix«, sagte van Appeldorn. »Und bei den anderen?«
»Auch nichts. Sie sitzen schon im Wagen.«
»Dann war’s das wohl. Wo stecken denn der Hirte und seine Betschwester?«
Stein runzelte die Stirn. »Mühlenbecks? Die sind weggefahren. Wir sollen die Haustür hinter uns zuziehen.«
»Weggefahren?«
»Zu ihrem Anwalt. Ich konnte sie nicht davon abhalten«, zuckte Stein die Achseln und zeigte dann auf das Fenster, das zum Kolk hinausging. »Haben Sie den schon gesehen?«
Am Wasser stand der Mönch mit zum Himmel gestreckten Armen. Um seine nackten Füße scharten sich Enten.
»Ach, der«, meinte van Appeldorn nur. »Der gehört hier zum Inventar. Vater Immanuel, oder so ähnlich. Hat ’ne ganz schöne Schacke weg, wenn Sie mich fragen.«
Etwa zur selben Zeit zerschlug Heinrichs Ackermanns schöne neue Theorie. »Das kann nicht hier auf dem Deich passiert sein, Jupp, tut mir leid.«
»Un’ wieso nich’, bitte schön?«
»Ralf Poorten ist direkt neben seinem Motorrad zusammengeschlagen worden. Und hier ist kein befestigter Weg, hier kann man doch kein Motorrad abstellen.«
»Bestimmt
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