Clara
Nahostkonflikt, Nordirland, über die Fundamentalisten in Afghanistan. Der sagt dir vielleicht sogar noch: Opus Dei, um Himmels willen! Und mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil kann ja wohl keiner einverstanden sein. Und derselbe Mensch trifft auf einen Protestanten und rümpft mitleidig die Nase über dessen Verblendung – alleinseligmachend, nicht wahr? – und wirft ihm vor, er folge einem Führer, der damals die Bauern in ihren Kriegen nicht unterstützt hat. Und daß der Papst die Erde des Gastlandes küßt, ist eine Geste der Achtung vor den Menschen dort und nicht die Hybris eines Sterblichen.« Er hielt inne und verzog komisch das Gesicht. »Entschuldige, Walter. Jedesmal wenn dieses Thema kommt, geht es mit mir durch.«
Heinrichs schob ihm sein Glas hin. »Der Cognac ist auf alle Fälle hervorragend.«
»Und du gehst wirklich nie in die Kirche, Arend?« wollte Astrid wissen. »Nicht mal bei einer Beerdigung, wegen der letzten Ehre?«
»Was hat die Ehre eines Menschen mit der Kirche zu tun? Nein, ich gehe nie.« Er grinste. »Ich würde auch zu keiner Sonnwendfeier gehen.«
Toppe lachte leise.
Bonhoeffer drehte den Cognacschwenker zwischen den Handflächen. »Freud hat mal gesagt, es wäre prima, wenn die Menschen aufhörten, ihre Erwartungen auf das Jenseits zu richten. Die freigewordenen Kräfte könnten sie dann auf das irdische Leben konzentrieren und damit erreichen, daß das Leben für alle erträglicher wird und die Kultur keinen mehr erdrückt.«
»Aber dafür braucht man doch eine Anleitung«, wandte Heinrichs ein. »Damit es für jeden einzelnen leichter wird.«
»Warte mal.« Bonhoeffer stand auf und ging zu seinem Bücherschrank. »Ich habe da neulich noch was gefunden, auch von Freud.«
Er nahm ein dickes, gelbes Buch heraus und blätterte. »Hier steht’s: Die Technik der Religion besteht darin, den Wert des Lebens herabzudrücken und das Bild der realen Welt wahnhaft zu entstellen, was die Einschüchterung der Intelligenz zur Voraussetzung hat. Um diesen Preis, durch die gewaltsame Fixierung eines psychischen Infantilismus und Einbeziehung in einen Massenwahn gelingt es der Religion, vielen Menschen die individuelle Neurose zu ersparen. Aber kaum mehr … Auch die Religion kann ihr Versprechen nicht halten. Wenn der Gläubige sich endlich genötigt findet, von Gottes ›unerforschlichem Ratschluß‹ zu reden, so gesteht er damit ein, daß ihm als letzte Trostmöglichkeit und Lustquelle im Leiden nur die bedingungslose Unterwerfung übriggeblieben ist. Und wenn er zu dieser bereit ist, hätte er sich wahrscheinlich den Umweg sparen können.«
Heinrichs’ ohnehin immer leicht gerötetes Gesicht war noch dunkler geworden. »Willst du damit sagen, daß alle religiösen, alle gläubigen Menschen blöd sind? Daß ich durch meinen Glauben und seine Regeln manipulierbarer bin als du?« Dann seufzte er. »Für mich begründet sich unsere Kultur auf Gottes Gebote. Wenn ich die in Frage stelle, dann hält mich doch eigentlich nichts mehr davon ab, meinen Nachbarn zu erschlagen, wenn er mir stinkt. Das, was mir die Kirche bietet, sind die simpelsten Regeln menschlichen Zusammenlebens. Wenn die Menschen die befolgen würden, brauchten wir keine Gerichte mehr.«
»Und wir wären unseren Job los«, griente Toppe, aber Heinrichs hörte ihn gar nicht.
»Auch wenn ihr das alles ablehnt oder für zu einfach haltet, für mich gibt es die Frohe Botschaft. Gott ist Liebe, und ich für mein Teil lebe sehr gut in dieser Liebe. Und genauso will ich es. Ich weiß, ich könnte nie so leben wie du, Arend.«
Astrid beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Ich denke gerade an Clara.«
Heinrichs zuckte die Achseln. Bonhoeffer hatte sich wieder hingesetzt und schaute Astrid abwartend an.
»Hast du noch nie von Clara gehört? Von Clara mit den heilenden Händen«, begann sie ihre Geschichte.
Arend Bonhoeffer hörte zunächst amüsiert zu, aber dann wurde seine Miene immer härter.
»Ich verstehe es einfach nicht«, schloß Astrid. »Clara ist fünfzehn Jahre jünger als ich, und selbst mir war Kirche schon völlig egal. Das müßte doch bei den Jugendlichen heute noch viel stärker sein.«
»Na ja«, meinte Toppe, »bei mir war das so ähnlich wie bei dir, aber wir beide waren ja auch evangelisch.«
»Ich weiß nicht«, unterbrach ihn Bonhoeffer, »ob das so einfach ist. Guck dir doch mal das puritanische Amerika an oder die Alt-Lutherischen unter den Protestanten.«
»Die kenne ich
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