Clara
hat mich der Arzt nicht zu Clara gelassen, weil sie noch zu schwach war. Heute sagt mir die Krankenschwester, ich könnte ruhig zu ihr gehen für ein paar Minuten. Aber da sitzt Claras Mutter am Bett, springt sofort auf, als sie mich sieht und schickt mich wieder raus. Die tun alle so, als hätte ich die Pest, als könnte ich Clara mit meiner Anwesenheit verseuchen.«
Opa Czesnik lachte gurgelnd.
»Ich hab Clara nicht mal ansehen können, weil die Mutter davorstand.« Christians Stimme wurde rauh. »Aber dann bin ich einfach hintenrum in den Park. Claras Zimmer liegt im Erdgeschoß und hat ein schönes, großes Fenster. Und dann konnte ich sie endlich sehen. Sie liegt da wie tot. Einmal hat sie ganz kurz die Augen aufgemacht, aber ich glaube, sie hat mich gar nicht erkannt.«
Opa Czesnik murmelte etwas, aber Christian konnte es nicht verstehen. Er beugte sich über den alten Mann und lauschte.
»Kämpfen …« flüsterte Czesnik. »Du mußt um dein Mädchen kämpfen … gesund … wegholen von denen …«
Christian ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. »Wie soll ich das denn machen? Opa? Ich hab so ein ganz blödes Gefühl, und ich weiß nicht, ob., wie ich.«
Aber der alte Mann war eingeschlafen.
Der Verputzer, den Ackermann geschickt hatte, war ein munterer Geselle. Schon um acht Uhr am Samstag morgen stand er auf der Matte, verkündete, er nehme achtzehn Mark die Stunde und machte sich ohne großes Federlesen ans Werk.
Bis zum Mittag kannten sie seine ganze Lebensgeschichte, die Krankheiten seiner Frau im Detail und waren bestens unterrichtet über die Schulkarrieren seiner vier Kinder und die Alkoholprobleme seines Schwiegervaters. Um zwei Uhr betrachtete er zufrieden sein Werk, kassierte seinen Lohn, schüttelte ihnen die Hände wie ein langjähriger Freund, der zu einer Weltreise aufbricht, und ließ sie allein mit fünf leeren Bierflaschen und einer unglaublichen Menge Dreck.
Astrid stand mitten in der Halle und betrachtete resigniert das Chaos. »So langsam hängt mir die Bauerei zum Hals raus.«
Toppe kam schon mit dem Putzeimer. »Und wie immer ist keiner zu Hause, wenn’s Arbeit gibt«, brummte er. »Genau das, was man sich an einem geruhsamen Wochenende so vorstellt.«
»Geruhsam?« meinte sie gereizt. »Du wirst wirklich immer komischer. Im Fall Poorten überschlagen sich die Dinge, und du spielst Wochenende.«
Er zog es vor, darauf nicht zu antworten, sondern fing an, mit einer Maurerkelle die feuchten Putzreste in den Eimer zu schaufeln.
Kurze Zeit später kam Christian nach Hause, schob sich mit einem leisen Gruß an ihnen vorbei, überlegte es sich dann aber, als er schon auf der Treppe war. »Kann ich euch helfen?«
Toppe grunzte nur, doch Astrid schaute erstaunt hoch. »Danke, aber wir sind sowieso jetzt fertig.«
Der Junge sah traurig und verwirrt aus. Sie ließ den Aufnehmer in den Eimer gleiten. »Trinkst du einen Tee mit?« Er zuckte die Achseln, kam aber mit in die Küche.
»Seid ihr schon weitergekommen mit Ralf?« fragte er beiläufig.
Astrid stutzte. »Na ja, ein bißchen schon, aber der große Durchbruch ist es noch nicht.«
Toppe hatte sich eine Zigarette angezündet und stand gegen den Türrahmen gelehnt. »Gut, daß du fragst, Christian. Dieses Haus Barbara, wir haben da ein paar Hinweise gekriegt. Der Laden gefällt mir nicht. Wußtest du, daß bei denen neulich ein Junge gestorben ist, weil sie nicht darauf geachtet haben, daß der krank war?«
Christian riß die Augen auf, aber sein »Was?!« klang schlapp.
Toppe setzte sich an den Tisch und erzählte auch von den anderen Zwischenfällen.
»Und ich muß dir sagen, mir wird ziemlich flau, wenn ich sehe, wie sehr die Leute Einfluß auf Minderjährige nehmen. Die meisten sind ja noch jünger als du. Mir wäre es wirklich lieb, wenn du nicht mehr dort hingingest.«
»So oft war ich doch gar nicht da, Vater«, meinte Christian beschwichtigend, und er blieb auch ganz ruhig, als Toppe über ›Opus Dei‹ und über Sekten sprach.
»War Clara eigentlich auch immer auf den Seminaren?« fragte Astrid.
»Ja, ich habe sie dort erst richtig kennengelernt. Ich meine, ich kannte sie vom Sehen in der Schule und im Altenheim, aber so richtig näher gekommen bin ich ihr erst bei der Gemeinschaft.«
»Ich denke, dort wird man nach Geschlechtern getrennt«, wunderte sich Toppe.
»Ach was, doch nur, wenn Exerzitien sind.«
»Wir haben einen Zeugen gefunden, der Ralf an dem Abend, als er getötet wurde, zusammen mit Clara
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