Clara
aber mit dir durch!«
Bonhoeffer stand auf, holte die Cognacflasche vom Kaminsims und goß noch einmal ein.
»Die heißesten Diskussionen über Religion hatte ich während meines Studiums. Das war immerhin in den Sechzigern. Aber selbst meine politisch höchst engagierten Kommilitonen konnten den Agnostiker nicht einfach so schlucken. Die Protestanten nahmen mich betroffen in die Arme, aber bei denen hatte ich immer das Gefühl, daß sie mir insgeheim Verrat an meinem Onkel vorwarfen. Und die Katholen fingen bei jeder Diskussion irgendwann an, mir was von der unverzichtbaren Rolle ihrer Kirche im sozialen Leben zu erzählen und von der Bedeutung einer emotionalen Heimat.«
»Ja und?« fragte Heinrichs. »Das stimmt doch auch. Wo wären wir denn ohne caritative Altenpflege? Wer organisiert denn Seniorentreffs? Wer fängt denn die Gestrauchelten auf? Wer kümmert sich denn darum, daß es noch irgendeine Art von Geborgenheit in der Gemeinschaft gibt?«
Arend Bonhoeffer winkte ab. »Und wo gehört da der Liebe Gott rein? Wieso kaufe ich den gleich mit? Das ist doch eine Mogelpackung.«
Astrid schüttelte den Kopf. »Ich kapiere das nicht so ganz, was du da von deinem Studium erzählt hast. Ich dachte, das wäre die Zeit gewesen: Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren?«
»Stimmt. Es waren teilweise dieselben Leute, die die Parolen anstimmten. Die sahen darin keinen Widerspruch. Ich habe denen gern die fragwürdige Rolle der Kirche im Dritten Reich unter die Nase gerieben, aber da kam dann immer nur was Schwammiges von Kirchenkampf und Kardinal Galen. Auch von der ›Klosterroute‹ wollte noch nie einer was gehört haben.«
»Entschuldige«, räusperte sich Astrid, »ich auch nicht.«
»Nach Kriegsende haben sich eine ganze Menge gesuchter Nazischergen in die Obhut von Mönchen begeben, sind in Klöstern untergetaucht. Dort haben sie auf neue Papiere gewartet und sind dann ab nach Südamerika. Das ganze Unternehmen war perfekt organisiert und von hoher kirchlicher Stelle abgesegnet. Historiker gehen davon aus, daß mehr als dreihundert Nazis auf diesem Weg abgetaucht sind. Eichmann hat sogar aus Dankbarkeit seinen jüngsten Sohn nach dem Pater benannt, der ihn versteckt hat.«
»Und jetzt kommen noch die Kreuzzüge«, grinste Heinrichs.
Bonhoeffer lachte. »Bei meinen Kommilitonen kam ich mit dieser Geschichte auch nicht so gut an. Dabei waren das alles grundanständige Menschen, sind es heute noch, regen sich ganz selbstverständlich über die ›Auschwitzlüge‹ auf. Aber wenn es um Religion und Kirche geht, hakt irgendwas aus. Da habe ich auch heute noch das Gefühl, die Aufklärung ist an den Leuten spurlos vorübergegangen.«
»Ja«, mischte sich Toppe wieder ein. »Ich habe neulich eine Fernsehdiskussion gesehen mit einem Schriftsteller, höchstens dreißig, der sich selbst als Jungen Wilden‹ beschrieb und der sagte, er sei natürlich nicht mehr Mitglied der katholischen Kirche; was ihm aber noch sehr viel bedeute, sei die mystische Atmosphäre. Und außerdem nähme er Kritik an der katholischen Kirche nur ernst, wenn sie von einem Katholiken käme. Da hab ich mich auch gefragt, in welchem Jahrhundert ich eigentlich lebe.«
Heinrichs leerte sein Glas und sah vor sich hin. »Komisch, aber das stimmt. Das mit der Kritik geht mir genauso …«
Astrid holte scharf Luft. »Was? Und die Morde, die islamische Fundamentalisten begehen, die darf ich nicht verurteilen, weil ich keine Muslimin bin? Und außerdem«, schnaubte sie, »mystische Atmosphäre! Wenn ich so was höre, wird mir ganz schlecht. Merken die denn gar nicht, daß man genau dadurch zu einem willigen Werkzeug wird? Für was auch immer.« Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Ich hätte nie geglaubt, daß ich mir noch mal so viele Gedanken über diesen Kram machen würde, aber in den letzten Tagen ist mir genau das immer wieder durch den Kopf gegangen. Erst durch die Aufklärung sind die Judenghettos abgeschafft worden, erst die Aufklärung hat mit dem Aberglauben aufgeräumt und dafür gesorgt, daß keine Hexen mehr verbrannt wurden. Die Aufklärung hat uns mündig gemacht, und nur durch sie ist Demokratie überhaupt möglich geworden. All das habe ich mal geglaubt, aber was ich in den letzten zwei Wochen gesehen und gehört habe, hat mein Weltbild ganz schön erschüttert.«
»Ja, ja«, meinte Bonhoeffer. »Es gibt keine höhere Instanz als die Vernunft – schön wär’s! Du redest mit einem, und der regt sich auf über den
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