Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
für sein Interesse in der Vergangenheit. Als Anerkennung. Als Dank. Jeder Lebensabschnitt wählt die einfachste, direkteste Erklärung.
Henriques Interesse manifestierte sich bei jeder Gelegenheit. Bei den Mahlzeiten stand sein Stuhl näher zu dem des Vaters als zu dem der Mutter. Wenn Emílio abends seine Papiere ordnete, die Anfragen und Aufträge, die er im Laufe des Tages erhalten hatte, stellte sich der Sohn an den Tisch und sah ihm bei der Arbeit zu. Fiel dem Vater ein Papier herunter – und Henrique wünschte sich das von ganzem Herzen –, dann beeilte er sich, es für ihn aufzuheben, und wenn der Vater ihn zum Dank anlächelte, war Henrique das glücklichste Kind der Welt. Aber es gab ein noch größeres Glück, und das ließ sich mit nichts vergleichen: Es war der Moment, wenn der Vater ihm die Hand auf den Kopf legte. Dann wurde ihm fast schwarz vor Augen.
Das plötzliche und scheinbar unerklärliche Interesse seines Sohnes an ihm löste in Emílio zwei widersprüchliche Reaktionen aus. Zum einen Rührung. In seinem Leben gab es so wenig Zuneigung, so gar keine Liebe, und er fühlte sich derart vereinsamt, dass die kleinen Aufmerksamkeiten seines Sohnes, seine ständige Gegenwart an seiner Seite, seine Anhänglichkeit ihn rührten. Doch schon bald wurde er sich der Gefahr bewusst: Das Interesse, die Rührung bezweckten nur, ihm den Entschluss, die Familie zu verlassen, zu erschweren. Er wurde abweisender, suchte den Sohn auf Distanz zu halten, kehrte Charakterzüge stärker heraus, die ihn weiter entmutigen sollten. Doch der Junge gab nicht auf. Hätte Emílio Gewalt eingesetzt, dann hätte er ihn vielleicht von sich fernhalten können. Aber das konnte er nicht. Er hatte ihn noch nie geschlagen, und er war dazu auch dann nicht bereit, wenn Prügel der Preis der Freiheit wären. Der Gedanke, dass die Hand, die seinen Sohn liebkoste und von diesem dafür geliebt wurde, zuschlagen könnte, bereitete ihm tiefes Unbehagen.
Emílio grübelte zu viel. Sein Kopf beschäftigte sich mit allem. Er drehte und wendete die Probleme, ließ sich auf sie ein, vergrub sich in sie, und am Ende wurde sein eigenes Grübeln zum Problem. Er vergaß, worauf es wirklich ankam, und suchte nach den Gründen und Motiven. Das Leben ging an ihm vorüber, und er merkte es gar nicht. Das Problem, das es zu lösen galt, lag vor ihm, aber er sah es nicht. Hätte es selbst dann nicht gesehen, wenn es laut gerufen hätte. Und anstatt jetzt nach einem Weg zu suchen, das Interesse seines Sohnes abzuwehren, wollte er die Gründe für dieses Interesse herausfinden. Und da er sie nicht fand, kam er mit seinen Gedanken, im Geflecht des Unbewussten gefangen, zu einem auf Aberglauben basierenden Schluss: Weil er seinem Sohn angekündigt hatte, dass er weggehen wolle, hatte sich dessen Zustand verschlechtert; aus dem gleichen Grund zeigte das Kind, verängstigt durch die Aussicht, ihn zu verlieren, dieses überraschende Interesse. Als seine Gedanken aus diesem lähmenden Morast auftauchten, wurde Emílio bewusst, wie irrational seine Schlussfolgerung war. Henrique hatte seine Worte wahrscheinlich nicht gehört, er hatte ihnen so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie einer vorbeisummenden Fliege – gesehen und schon vergessen. Und die letzten, die endgültigen, unwiderruflichen Worte konnte er gar nicht gehört haben, denn er war vorher eingeschlafen. Doch hier setzten Emílios Gedanken zu einer neuerlichen Reise auf dem unsicheren Pfad des Unterbewussten an: Ausgesprochene Worte bleiben, selbst wenn sie nicht gehört wurden, in der Luft, werden sozusagen eingeatmet und zeitigen die gleiche Wirkung, als wären sie bis zu hörenden Ohren vorgedrungen. Eine törichte Schlussfolgerung, abergläubisch und aus Vorzeichen und Rätseln zusammengebastelt.
Für Carmen war das, was sich da abspielte, der deutlichste Beweis für die Verderbtheit ihres Mannes. Nicht damit zufrieden, ihr jegliches Glück zu verwehren, wollte er ihr jetzt auch noch die Liebe ihres Kindes stehlen. Sie kämpfte gegen Emílios Absichten. Verhätschelte ihr Kind doppelt. Doch Henrique schenkte einem einfachen Blick des Vaters mehr Aufmerksamkeit als der überschwänglichen Zuwendung der Mutter. In ihrer Verzweiflung ging Carmen so weit, zu glauben, ihr Mann habe ihn verhext, ihm irgendeine Droge zu trinken gegeben, um seine Gefühle zu beeinflussen. Nachdem sie sich dies in den Kopf gesetzt hatte, war abzusehen, wie sie reagieren würde. Klammheimlich ließ sie Henrique
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