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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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reichlich Wasser und Seife. Während er sich kämmte, dachte er: »Ich war wirklich ein Riesendummkopf. Eigentlich war abzusehen, dass der anonyme Brief überhaupt nichts bewirken würde …«
    Vorsichtig öffnete er das Fenster und schaute hinaus. Er war nicht überrascht, Lídia zu sehen – schließlich hatte er ihretwegen das Fenster geöffnet. Lídia blickte nach unten und schmunzelte. Caetano folgte ihrem Blick und sah, dass im Garten des Mieters im Erdgeschoss rechts, dem Garten des Schusters, der Untermieter hinter einem Huhn herlief, während Silvestre mit einer Zigarette im Mund an der Mauer lehnte und sich auf die Schenkel klopfte.
    »Ach, Abel! Sie kriegen das Viech nie! Dann gibt es eben keine Suppe zum Mittagessen.«
    Lídia lachte laut. Abel blickte auf.
    »Entschuldigung … Wollen Sie mir vielleicht helfen?«
    Lídia lachte noch lauter.
    »Da wäre ich nur im Weg …«
    »Es ist aber nicht sehr nett, mich auszulachen!«
    »Ich lache nicht über Sie. Ich lache über das Huhn.« Sie unterbrach sich: »Guten Morgen, Senhor Silvestre! Guten Morgen, Senhor …«
    »Abel …«, sagte der junge Mann. »Meinen Familiennamen sage ich nicht, ich bin zu weit weg, um mich richtig vorzustellen.«
    Das Huhn stand in einer Ecke, schüttelte die Federn und gackerte.
    »Die Henne macht sich über Sie lustig«, bemerkte der Schuster.
    »Ach ja? Dann sorge ich dafür, dass sie die Senhora da oben zum Lachen bringt.«
    Caetano wollte nicht weiter zuhören. Er schloss das Fenster. Das aufgeregte Gackern der gejagten Henne fing wieder an. Caetano setzte sich auf den Rand der Toilette und sortierte seine Gedanken. »Der Brief hat nichts gebracht … Aber das hier, das wird etwas bringen …« Er streckte die Hand zum Fenster hin, in Richtung Lídia, und murmelte:
    »Und du wirst es mir auch büßen … So wahr ich Caetano heiße.«

30
    A mélias Bemühungen stießen auf die hartnäckige Abwehr ihrer Nichten. Sie versuchte, sie im Guten zum Reden zu bringen, sprach von ihrer früheren Harmonie, wie wunderbar sie sich alle verstanden hatten. Isaura und Adriana lachten nur. Sie demonstrierten mit allen erdenklichen Mitteln, dass sie keinen Streit hätten, dass Amélia sich nur, weil sie ständig alle glücklich sehen wollte, Dinge einbildete, die nicht einmal andeutungsweise existierten.
    »Wir haben alle unsere Probleme, Tante Amélia.«
    »Das weiß ich wohl. Auch ich habe welche. Aber glaubt nicht, ihr könntet mich täuschen. Du sprichst noch und lachst, aber Isaura schweigt nur noch. Ich müsste blind sein, um nichts zu merken.«
    Sie gab es auf, von ihnen direkt zu erfahren, warum so eine Kälte zwischen ihnen herrschte. Offenbar hatten die beiden eine Art Abmachung, Mutter und Tante zu täuschen. Cândida mochte dieser äußere Schein genügen, sie, Amélia, hingegen wollte sich erst mit der Realität zufriedengeben. Unverhohlen beobachtete sie die beiden. Sie zwang ihren Nichten einen an Panik grenzenden Zustand der Anspannung auf. Die kleinste unklare Bemerkung war ihr Vorwand für eine Anspielung. Adriana nahm es mit Humor, Isaura suchte im Schweigen Zuflucht, als fürchtete sie, die Tante könnte auch aus den harmlosesten Worten falsche Schlüsse ziehen.
    »Du sagst gar nichts, Isaura?«, fragte Amélia.
    »Ich habe nichts zu sagen …«
    »Früher haben sich in diesem Haus alle gut vertragen. Alle redeten, alle hatten etwas zu erzählen. Jetzt ist es so weit gekommen, dass wir nicht mal mehr Radio hören.«
    »Du hörst kein Radio, weil du es nicht willst, Tante Amélia.«
    »Wozu auch, wenn wir alle Anderes im Kopf haben?!«
    Hätte ihre Nichte sich anders verhalten, dann hätte sie vielleicht von ihrer Idee Abstand genommen. Aber Isaura wirkte geduckt, als quälten sie geheime Gedanken. Amélia beschloss, sich nicht mehr um Adriana zu kümmern, und konzentrierte ihre ganze Aufmerksamkeit auf Isaura. Wenn diese das Haus verließ, ging sie hinterher. Und kam immer enttäuscht zurück. Isaura sprach mit niemandem auf dem Weg zu dem Geschäft, für das sie arbeitete, machte keine Umwege, schrieb keine Briefe und erhielt auch keine. Nicht einmal zur Bibliothek ging sie mehr, wo sie sonst ihre Bücher ausgeliehen hatte.
    »Du liest gar nicht mehr, Isaura.«
    »Ich habe keine Zeit.«
    »Du hast noch genauso viel Zeit wie früher. Hat man dich in der Bibliothek schlecht behandelt?«
    »Wie kommst du darauf?!«
    Bei der Frage wegen ihres derzeitigen Desinteresses an Büchern war Isaura rot geworden. Sie senkte

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