Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
ihn war ihr Leben nicht vollkommen, und der Gedanke, ihr Kind müsste ohne ihn aufwachsen, erschien ihr beinahe unerträglich. Weder Alex noch sie durften das Kind jemals im Stich lassen.
Die nächsten Tage verliefen eintönig. Sie beschränkte sich darauf, die Wohnung zu putzen und servierte Whittler Frühstück, Mittag- und Abendessen. Sie selbst aß in der Küche. Sie wechselte nicht mehr Worte mit ihm als unbedingt nötig und nickte nur, als er ihr mitteilte, dass die Verhandlung in drei Wochen stattfinden würde. Die magischen drei Wochen, vielleicht gerade noch rechtzeitig, um von Betty-Sues Rettung zu erfahren und nach Alaska zurückzukehren. Sie war so darauf fixiert, dass sie gar nicht merkte, wie sehr sich das Schicksal wenden musste, wenn sie wirklich eine Chance haben wollte. Viel wahrscheinlicher war es doch, dass Betty-Sue nicht gefunden wurde und sie gezwungen war, zugunsten von Frank Whittler auszusagen. Und dass man sie nach ihrer Aussage nicht einfach ziehen lassen würde, war auch klar.
Ungefähr eine Woche nach ihrer Ankunft in Vancouver geschah etwas Unvorhergesehenes. Thomas Whittler saß gerade beim Abendessen und sie war in der Küche und setzte Kaffee auf, als ein Zweispänner vorfuhr und Louise Whittler vom Kutschbock stieg. Der Kutscher folgte ihr und stellte ihre Koffer in der Eingangshalle ab. Er hatte gerade sein Trinkgeld kassiert und das Haus verlassen, als die Türen zum Esszimmer und zum Dienstbotenbereich aufgingen und Whittler und Clarissa in der Eingangshalle erschienen.
Mehrere Sekunden vergingen, während der Louise Whittler den Blick mehrmals zwischen ihrem Mann und Clarissa hin und her wandern ließ, und bevor sie sagte: »Was hat das zu bedeuten, Thomas? Ich dachte, du bist in Alaska? Und das … das ist doch Clarissa, die unseren Sohn ins Gefängnis geschickt hat? Was tut sie hier, Thomas? Was tut diese Frau in unserer Villa?«
Ihre Stimme war immer schriller geworden, und Whittler suchte verzweifelt nach einer passenden Antwort, doch Clarissa war schneller und erwiderte: »Ich bin nicht freiwillig hier, Mrs. Whittler. Ihr Mann hat mich entführt! Zwei seiner Handlanger halten eine meiner Freundinnen in Alaska gefangen und werden sie töten, falls ich zu fliehen versuche oder sonst etwas versuche.«
»Stimmt das?«, fragte Louise Whittler scharf. »Du hast eine unschuldige Frau entführen lassen und sie hier gewaltsam nach Vancouver gebracht? Wenn das Gericht davon erfährt, bleibt es bei dem ›Lebenslänglich‹ für Frank, und du kannst froh sein, wenn du nicht auch im Gefängnis landest. Reicht es denn nicht, dass du uns diesen Skandal eingebrockt hast und uns die Canadian Pacific den Laufpass gegeben hat? Wie konntest du so etwas tun?«
Ihr Mann ging ein paar Schritte auf sie zu. »Clarissa soll in der Berufungsverhandlung für Frank aussagen, Louise. Sie soll dem Gericht mitteilen, dass es damals keine Vergewaltigung war und sie bei ihren Schilderungen übertrieben hat. Selbst wenn die anderen Anklagepunkte bestehen bleiben, werden sie seine Strafe reduzieren. Ich bin sogar sicher, dass sie es tun. Und wenn der Mordzeuge so geldgierig ist, wie ich vermute, kriegen wir Frank vielleicht ganz frei … Oder er bekommt höchstens ein paar Jahre. Ich musste es tun, Louise!«
Louise Whittler sank ihrem Mann in die Arme und begann zu weinen. »Das … das wäre schön«, stammelte sie, »ich habe nie geglaubt, dass … dass unser Frank so schlimm ist, wie manche … manche Leute behaupten. Er war doch immer ein … ein guter Junge, auch …« Sie schniefte laut. »… auch wenn er manchmal über die Stränge geschlagen hat. Und du meinst wirklich … Du meinst wirklich, dass sie seine Strafe … dass er nicht ins Gefängnis muss?«
»Wenn Clarissa für ihn aussagt …«
Sie hob den Kopf. »Das werden Sie doch tun, nicht wahr?«
Clarissa wäre am liebsten davongelaufen, wusste aber, dass sie Louise Whittler eine Antwort schuldig war. Sie hatte sogar Verständnis für sie, denn sie trug sicher die geringste Schuld an den Verfehlungen ihres Sohnes und war in die Machenschaften ihres Mannes nie eingeweiht gewesen. »Solange Sie meine Freundin gefangen halten, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, Ma’am. Aber Ihr Sohn …« Sie konnte nicht anders. »Ihr Sohn ist ein gemeiner Mörder. Ich habe zwei seiner Opfer mit eigenen Augen gesehen, und würden die Handlanger Ihres Mannes meine Freundin nicht mit einem Messer bedrohen und hätte er mich von seinen Wachhunden
Weitere Kostenlose Bücher