Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
Gefangenschaft arrangiert, war aber weit davon entfernt, sich endgültig damit abzufinden, auch wenn die erlösende Meldung noch immer nicht in der Province erschienen war. Ihre Meinung über Frank Whittler und seinen Vater würde sich niemals ändern, und wenn Louise Whittler noch so sehr um sie besorgt war; ausschließlich die Angst um das Leben einer lieben Freundin könnte sie bewegen, vor Gericht zu lügen.
Eine Woche vor der Verhandlung ging Snyder noch einmal alle möglichen Antworten mit ihr durch. Den Text, den er zur Ehrenrettung von Frank Whittler aufgesetzt hatte, ließ er sie wie eine Schauspielerin einüben, wobei er großen Wert auf Stimmlage, Betonung und Gesten legte. »Das kommt noch nicht überzeugend genug«, hieß es immer wieder, »ein bisschen mehr Gefühl, wenn ich bitten darf. Sie bereuen, was Sie damals über Frank Whittler gesagt haben. Sie waren aufgeregt und verwirrt. »Ja, so sieht es schon viel besser aus.«
Drei Tage vor der Verhandlung hatte sie sich schon beinahe damit abgefunden, dass die Meldung, auf die sie nun schon so lange wartete, nicht erscheinen würde, als sie die Province auf dem Schreibtisch von Thomas Whittler liegen sah und noch vor ihm aufschlug. Die ersehnten Zeilen fand sie auf der vorletzten Seite: »Entführte Krankenschwester von North West Mounted Police befreit«, stand dort und darunter ein Bericht, den nicht Dolly, sondern ein Reporter aus Dawson City telegrafisch übermittelt hatte: »Die Klondike-Region, vor fünf Jahren noch Schauplatz des größten Goldrauschs aller Zeiten und inzwischen fast zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, stand gestern im Mittelpunkt einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen zwei Polizisten der North West Mounted Police und zwei gefährlichen Banditen, die Betty-Sue Anderson, eine junge Krankenschwester aus Fairbanks, Alaska, in ihre Gewalt gebracht und sich in einer abgelegenen Blockhütte verschanzt hatten. Mrs. Dolly O’Rourke, die einstige Besitzerin von Aunt Millie’s Roadhouse am Yukon und jetzige Inhaberin einer ähnlichen Herberge an einem Nebenfluss des Chena River bei Fairbanks, Alaska, hatte Sergeant Bud Thomas und Constable Kent Scott den entscheidenden Hinweis gegeben. Sie ist im Besitz einer Fotografie, welche die Entführer mit ihrem Opfer zeigt, und konnte sich noch gut an die Hütte erinnern, in der die Aufnahme entstanden war. Nach ihrer Aussage handelten die Banditen im Auftrag von Thomas Whittler, einem ehemaligen Manager der Canadian Pacific, dessen Sohn Frank Whittler im Gefängnis auf seine neue Verhandlung wartet. Der Millionär wollte Clarissa Carmack, die durch ihre Aussage, von Frank Whittler auf unsittliche Weise bedrängt worden zu sein, entscheidend zu dessen Verurteilung beitrug, angeblich damit zwingen, bei der neuen Verhandlung zu Gunsten seines Sohnes auszusagen. Die Banditen bestritten dies und beteuerten, ihre Gefangene willkürlich entführt zu haben. Beide wurden während der Schießerei verletzt und liegen im Krankenhaus von Dawson City. Betty-Sue Anderson ist wohlauf. Ob gegen Thomas Whittler ermittelt wird, soll in den folgenden Tagen entschieden werden. Angeblich soll sich einer der Banditen jeden Morgen im Postamt nach einem Telegramm aus Vancouver erkundigt haben, eventuell eine verschlüsselte Botschaft von Whittler. Wo sich Clarissa Carmack aufhält, konnte bisher noch nicht geklärt werden.«
Clarissa wusste, dass sie keine Zeit verlieren durfte. Sie durfte sich nicht darauf verlassen, dass die Polizei noch vor Thomas Whittler in der Villa auftauchte und sie vor ihm schützte. Sie musste ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und das Haus so schnell wie möglich verlassen. Selbst wenn die Polizei den Millionär verhörte, konnte man ihm keines seiner Verbrechen nachweisen, und er wäre sofort wieder auf freiem Fuß, um sich an ihr zu rächen. Auch nach dem Skandal würde man ihm mehr glauben als Dolly, den beiden Banditen und ihr. Er hatte bestimmt noch etliche Freunde bei der Polizei, die sich für ihn einsetzen würden. Wenn sie Pech hatte, würde man sie sogar verdächtigen. Wer wusste schon, was Thomas Whittler für Lügen über sie erzählte. Wenn das Berufungsgericht das Urteil seines Sohnes bestätigte, war er zu allem fähig, auch zu einem Mord.
In größter Eile zog sie ihre Uniform aus und schlüpfte in ihre eigenen Kleider. Sie band ihre Haare hoch, bedeckte sie mit dem flachen Hut, den Whittler ihr gekauft hatte, und hastete mit der gepackten Tasche die Treppe
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