Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
sich hinter dem Ladenbesitzer. »Der Gentleman vor dem Hotel, das ist doch …«
»Thomas Whittler«, vollendete der Ladenbesitzer den Satz, »einer der Männer, die für den Bau der Canadian Pacific verantwortlich waren. Er soll in einen Skandal verwickelt gewesen sein, wurde freigesprochen und hat eine neue Firma gegründet, die auch am Bau der Alaska Central und der Telegrafenlinie beteiligt ist, die im Sommer von Valdez nach Eagle gebaut werden soll. Ein beeindruckender Gentleman, nicht wahr? Wir sind ihm alle sehr dankbar hier, denn ohne ihn würde es die Telegrafenlinie wohl nicht geben.« Er lächelte zufrieden. »Kennen Sie Thomas Whittler?«
Sie beobachtete über die Schultern des Ladenbesitzers, wie Thomas Whittler einem anderen Gentleman die Hand schüttelte und mit ihm die Straße zum Meer hinunterging. »Flüchtig«, antwortete sie. In Gedanken sah sie ihn wie einen eitlen Pfau aus seiner Kutsche steigen und Befehle an seine Dienstboten geben, zu denen auch sie als Haushälterin gehört hatte. »Als ich noch in Vancouver lebte, habe ich ihn bei einer Veranstaltung im Stanley Park reden gehört. Er ist ein sehr … mächtiger Mann, nicht wahr?«
»Und genauso einen brauchen wir hier, wenn es mit Valdez und Alaska aufwärtsgehen soll. Kann ich Ihnen sonst irgendwie helfen, Ma’am?«
»Nein … vielen Dank, Mister …«
»Carmody«, ergänzte er, »immer zu Ihren Diensten.«
Sie verließ den Laden und lief zur Pension zurück, wo Alex bereits die Hunde anspannte. »Stell dir vor, wen ich gesehen habe«, berichtete sie aufgeregt. »Thomas Whittler! Wir müssen so schnell wie möglich weiter!«
»Thomas Whittler? Den Vater von Frank Whittler?«
»Genau den! Nichts wie weg hier!«
Keine zwei Minuten später saß sie auf der Ladefläche, und Alex feuerte die Hunde an. »Giddy-up … go! Wir haben es eilig, Emmett. Vorwärts!«
6
Ü ber den verschneiten Bergen der Alaska Range hingen dunkle Wolken, und über dem Thompson Pass schneite es sicher schon, doch Alex ließ sich nicht aufhalten. Unter ständigen Anfeuerungsrufen trieb er sein Gespann den Bergen entgegen. Als Clarissa sich nach ihm umdrehte, stand er so fest und sicher auf dem Trittbrett wie vor seiner Operation, und es bereitete ihr große Freude, ihn so zu sehen, wie sie ihn kennengelernt hatte: als einen starken und kräftigen Mann, der sich durch nichts aufhalten ließ.
Die leidenschaftliche Liebesnacht schien ihn auf den Weg der Besserung zurückgebracht zu haben. Er wirkte wacher und beweglicher, seine Gesichtsfarbe gesünder, und in seinen Augen war wieder jenes humorvolle Blitzen zu erkennen, das sie schon bei ihrer ersten Begegnung fasziniert hatte. Er genoss das Leben wieder in vollen Zügen, und keiner gönnte es ihm nach den herben Erfahrungen der vergangenen Jahre mehr als sie. Es mochte während der kommenden Wochen und vielleicht sogar Monate noch Rückschläge geben, so wie Dr. Blanchard es vorausgesagt hatte, aber er hatte sein Leben wieder und würde es sich nicht mehr nehmen lassen.
»Glaubst du wirklich, Thomas Whittler ist auch unseretwegen hier?«, fragte Alex, als sie durchs Copper River Valley fuhren. Inmitten der zerklüfteten Ausläufer der Berge war der Trail extrem breit, damit die großen Schlitten mehr Platz hatten. »Ist der genauso verrückt wie sein Sohn?«
»Er kann keine Niederlagen ertragen«, erwiderte sie. »Wenn bei der Canadian Pacific was nicht nach seinem Willen lief, ließ er seinen Ärger immer an uns Angestellten aus. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Dann fauchte er mich schon an, wenn eine Gabel oder ein Messer falsch lag.«
»Ich konnte diese Bonzen noch nie leiden.«
Clarissa drehte sich zu ihm um, damit sie ihn besser verstehen konnte. Der Schlitten glitt sanft über den festen Schnee. »Ich hab’s dir bisher noch nicht erzählt, weil ich nicht wollte, dass du dich aufregst«, sagte sie, »aber das Gericht in Vancouver hat Frank Whittler verurteilt. Lebenslänglich … ohne die Möglichkeit, irgendwann begnadigt zu werden. Das Urteil kann nicht mehr angefochten werden. Da haben den Whittlers wohl weder ihre Verbindungen zur Politik noch das viele Geld geholfen, das sie irgendwo versteckt hatten. Und wenn er mich dafür verantwortlich macht …« Sie ließ den Satz unbeendet, aber Alex wusste auch so, was sie ihm sagen wollte.
»Du hast recht«, sagte er, »irgendwo muss er seinen Ärger loswerden, und da kämen wir gerade richtig. Wenn er seinen Sohn schon nicht freibekommt, will
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