Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
»Wir wollten eigentlich zu Schwester Betty-Sue … den Verband wechseln lassen …«
»Heute Nachmittag sind alle im neuen Versammlungshaus«, erwiderte Doc Boone. »Sid Gillespie, der neue Kandidat für die Bürgermeisterwahl, hält eine Rede. Ein reicher Spielhöllenbesitzer aus Nome, der zwei Straßen weiter einen neuen Saloon eröffnet und allen Kirchen und Vereinen viel Geld gespendet hat … um sie gleich mal auf seine Seite zu ziehen. Die Leute denken immer noch, dass hier mehr Gold unter der Erde liegt als am Klondike. Ich glaube, die ganze Sache wird von Leuten wie Gillespie aufgebauscht, die hier nur einen großen Reibach machen und sich dann wieder absetzen wollen. Wir machen diesen Zirkus nicht mit. Ich kümmere mich lieber um meine Kranken, bevor ich mir diesen Blödsinn anhöre.« Er blickte seine Frau an, die lächelnd neben ihm stand. »Hab ich nicht recht?«
Doc Boone bat Alex, sich auf einen Stuhl zu setzen, und tauschte seinen Verband gegen einen frischen aus. »Erstklassige Arbeit!«, sagte er beim Anblick der verheilten Wunde. »Wirklich erstklassige Arbeit! Die Wunde ist gut verheilt, Alex, aber zur Sicherheit sollten Sie den Verband noch einige Tage dranlassen.« Seine Frau reichte ihm das Verbandszeug. »Also, ich mag ja ein konservativer alter Knochen sein, aber ich sähe es doch lieber, wenn Barnette im Amt bliebe. Dieser Gillespie ist mir zu radikal, der würde doch am liebsten einen neuen Indianerkrieg vom Zaun brechen.«
»Wir haben unterwegs einen gewissen Dr. William Nelson getroffen«, erinnerte sich Clarissa nur mühsam an den Namen des Arztes, »ein Inspektor des Civil Service. Er sagt, er hätte geschäftlich in Fairbanks zu tun.«
»Dann will er mir wahrscheinlich auf die Finger sehen.« Doc Boone nahm den Blick nicht von Alex’ Wunde. »Und Schwester Betty-Sue.« Seine Miene verriet, dass er von der Beziehung wusste. »Na, dann hoffen wir mal, dass wir ihm ordentlich Sand in die Augen streuen können. Diese Inspektoren glauben immer, sie wüssten alles besser und wir Ärzte in der Wildnis würden das wenige Geld, das wir bekommen, zum Fenster rauswerfen.« Er verknotete den Verband. »Das war’s, Alex. Das hält eine Weile.«
Clarissa und Alex bedankten sich bei Doc Boone und seiner Frau und kehrten auf die Straße zurück. Die Neugier trieb sie zur Versammlungshalle, einem schmucklosen Holzhaus, das einen Straßenblock einnahm und wie am Unabhängigkeitstag mit blau-weiß-roten Girlanden verziert war.
Die Leute standen bis auf die Straße und ließen sich auch durch die Kälte nicht davon abhalten, dem neuen Kandidaten zuzuhören. Seine kraftvolle Stimme drang bis auf die Straße hinaus: »… und ich sage Ihnen, solange wir den Indianern dieselben Rechte wie uns einräumen, wird aus diesem Distrikt niemals ein Territorium und aus dem Territorium niemals ein Staat.«
Er legte eine Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen, und klang noch zuversichtlicher, als sich Unruhe im Publikum breitmachte und Verwünschungen wie »Indianer raus!« und »Verdammtes Pack!« laut wurden.
»Was haben die Indianer denn aus dem Land gemacht?«, fuhr er fort. »Haben sie die Erde umgegraben und Felder bestellt? Haben sie Bäume gefällt und Städte gebaut? Haben sie zum einzig wahren Gott gebetet?« Die Zwischenrufe wurden lauter. »Nichts von alledem. Sie lassen sich von uns Weißen aushalten, ziehen bettelnd von einem Saloon zum anderen, und wir sind dumm genug und bringen ihnen Lebensmittel und Decken und schicken jeden Monat eine Krankenschwester zu ihnen. Wenn Sie mich zum Bürgermeister wählen, wird Schluss mit diesen Vergünstigungen sein. Die Regierung kann ich nicht zwingen, aber hier in Fairbanks wird kein Platz mehr für die Bittsteller sein. Haben wir nicht genug von diesen jämmerlichen Gestalten, die alles für einen Schluck Whiskey tun und betrunken über die Gehsteige torkeln? Wir brauchen unser Geld selbst!«
Gegen den Willen von Alex, der sich vor der Schmiede gegen die Hauswand lehnte, lief Clarissa über die Straße. Sie wollte einen Blick auf den Mann werfen, der so furchtbare Reden schwang, und sah einen feisten Burschen um die fünfzig, das Gesicht rot vor Erregung, und eine Hand zur Faust erhoben. »Für ein besseres Fairbanks!«, tönte er. »Für eine Stadt, in der sich die Menschen frei bewegen können! Für Sid Gillespie als Bürgermeister!« Er wischte sich den Schweiß mit einem weißen Tuch von der Stirn. »Und jetzt kommt alle in meinen Saloon … Es
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