Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
und unzivilisierter zu als hier in Alaska. Ich bin gern hier, Ma’am. Sehen Sie sich nur diese weiten Täler und diese Berge an … Sind sie nicht großartig?«
Die Arztgattin schüttelte sich. »Mir ist es zu kalt hier. Wenn ich auf dem Schlitten sitze, hülle ich mich in meine Decken und blicke weder nach links noch nach rechts. Bei uns in Seattle ist das Wetter auch nicht besonders, aber so kalt und dunkel ist es nicht mal im tiefsten Winter. Wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet, hätte ich meinen Mann bestimmt nicht begleitet. Mir tut es jetzt schon leid, dass ich zugesagt habe.«
»Vielleicht ändern Sie Ihre Meinung noch, Ma’am.«
»Das glaube ich kaum.« Sie ließ sich von ihrem Mann aus dem Pelzmantel helfen und blickte sich im Roadhouse um. »Und diese furchtbaren Roadhouses … Jede schäbige Pension in Seattle sieht einladender aus.«
»Aber das Essen schmeckt«, sagte ihr Mann.
»Ich weiß nicht, William …«
Clarissa war froh, als sie weiterfahren und sich von der unzufriedenen Dame verabschieden konnten. Noch mehr Sorgen machte ihr allerdings der Arzt. »Er arbeitet als Inspektor beim Civil Service«, sagte sie, als sie wieder unterwegs waren. »Dann fährt er bestimmt wegen Betty-Sue nach Fairbanks. Hoffentlich zwingt er Doc Boone nicht, ihr zu kündigen …«
»Wegen Matthew?«
Auch Alex wusste inzwischen von der Liebesbeziehung der jungen Krankenschwester. Clarissa hatte sich sofort mit ihr angefreundet und ihr geholfen, sich in der ungewohnten Umgebung zurechtzufinden. Sie war mit ihr in die Goldgräbercamps und Indianerdörfer gefahren und hatte erlebt, wie geschickt und einfühlsam sie mit ihren Patienten umging. Auch als sie Matthew, einen jungen Indianer aus einem der Dörfer in den White Mountains, getroffen und schätzen gelernt hatte, war Clarissa dabei gewesen. Die beiden jungen Leute hatten erfolglos versucht, sich gegen ihre Gefühle zu wehren und waren doch zu schwach gewesen, ihre Beziehung zu beenden, wie es Clarissa der Schwester empfohlen hatte. Wenn ihre Liebesbeziehung herauskam, würde der Civil Service Betty-Sue kündigen, und die meisten Weißen würden es sogar ablehnen, sich von einer »Indianerfreundin« behandeln zu lassen.
»Gut möglich«, erwiderte sie. »Wir müssen sie warnen!«
Auch deswegen lenkte Clarissa den Schlitten zur Praxis von Doc Boone, als sie Fairbanks erreichten. Überrascht stellte sie fest, wie sehr sich die Stadt in den vergangenen Wochen verändert hatte. Zu den Häusern, die um Barnette’s Trading Post entstanden waren, war ein ganzer Block mit Hotels, Läden, Restaurants und einem neuen Eisenwarenladen gekommen, und hinter den Fenstern eines zweistöckigen Hauses waren die Gesichter einiger grell geschminkter Frauen, die meisten zu jung oder zu alt, im rötlichen Licht zu sehen. Daneben hatte ein Fuhrunternehmer seinen Wagenhof. Mehrere Pritschenwagen, teilweise mit Kufen versehen, standen in dem eingezäunten Areal.
Dennoch war die Hauptstraße erstaunlich leer. Es lag an der Kälte, vermutete Clarissa; in Fairbanks zeigte das Thermometer minus zwanzig Grad an. Die niedrigen Temperaturen zwangen vor allem viele Neuankömmlinge, in den warmen Häusern oder Zelten zu bleiben. Clarissa stieg vom Schlitten, verankerte ihn und bedankte sich bei den Huskys, die sich seit Smokys Tod doppelt angestrengt hatten. »Das habt ihr toll gemacht«, sagte sie zu Emmett. Sie nahm ihn in die Arme und drückte ihn. »Ich wusste doch, dass ich mich auf euch verlassen kann. Alex lässt sich einen neuen Verband anlegen, und ich unterhalte mich ein wenig mit Betty-Sue, dann fahren wir nach Hause, okay?«
Doch Betty-Sue war nicht in dem kleinen Krankenhaus, das Doc Boone hinter seinem Wohnhaus errichtet hatte, und lediglich der Arzt und seine Frau empfingen sie in dem kleinen Vorraum. »Alex Carmack!«, rief Doc Boone erfreut und betonte jede einzelne Silbe. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich Sie noch mal so gesund und munter wiedersehen würde! Willkommen zu Hause! Es tut gut, Sie wiederzusehen.« Er wandte sich an Clarissa und reichte ihr beide Hände. »Und Sie natürlich auch, Clarissa! Dann hatten wir also recht. Der Wunderdoktor hat es tatsächlich hinbekommen.«
Clarissa erwiderte den Gruß und begrüßte auch die Frau des weißhaarigen Arztes. »Alex ist wieder gesund«, bestätigte sie strahlend. »Es wird aber noch etwas dauern, bis er die Nachwirkungen der Operation überstanden hat, sagt Dr. Blanchard.« Sie blickte sich suchend um.
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