Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
ihren Schlitten. Sie wollte Matthew auf ihrem eigenen Schlitten nach Fairbanks bringen, auch wenn ihr der Anblick des leblosen Bündels, das Clarissa auf die Ladefläche ihres Schlittens band, beinahe das Herz zerriss. »Warum?«, fragte sie. »Warum nur, Clarissa? Matthew wollte doch niemandem etwas Böses.«
Sie fuhren schweigend nach Fairbanks zurück und erreichten die Stadt gegen Mitternacht. Auch zu dieser späten Stunde war dort noch viel los, besonders in den Kneipen und Saloons, wo man die Teilnehmer des Rennens feierte, mit reichlich Bier, Whiskey und sogar Champagner auf den Sieger anstieß und die Gelegenheit ausnutzte, um mal wieder richtig »die Sau rauszulassen«, wie man schon am nächsten Morgen in den Weekly Fairbanks News lesen konnte. Ungeachtet der eisigen Temperaturen feierte man im Lichtschein der unzähligen Fackeln und Lampen auch auf der Straße, und unter dem Banner an der Start-und-Ziel-Linie brannte sogar ein großes Lagerfeuer. Das Alaska Frontier Race war eine willkommene Abwechslung während des langen Winters.
Um keinen der angetrunkenen Bewohner zu rammen, fuhren Clarissa und Betty-Sue im Schneckentempo die Hauptstraße hinab. Nur ganz allmählich wurden die Leute auf sie aufmerksam, und Entsetzen machte sich breit, als ihnen klar wurde, welche Last auf einen der beiden Schlitten gebunden war. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von dem toten Indianer in der Stadt. Die lauten Stimmen und das Gelächter verstummten, sogar eines der Walzenklaviere blieb hängen, und die irischen Fiddler, die in einem der Saloons zum Tanz aufgespielt hatten, beendeten ihre Darbietung mit kratzenden Geräuschen, als sie Clarissa und Betty-Sue durch eines der Fenster beobachteten. Innerhalb weniger Minuten wurde es so still auf der Hauptstraße, dass man sogar das Hecheln der Hunde und das Scharren der Kufen hören konnte.
Nur ganz allmählich stieg der Geräuschpegel wieder an, klimperten auch die Klaviere wieder los und feierte man ungerührt weiter, denn von einem toten Indianer ließ man sich noch lange nicht die Stimmung verderben. »Das wäre ja noch schöner!«, rief einer der Goldsucher. Niemand achtete mehr auf Clarissa und Betty-Sue, als sie vor dem Marshalbüro die Schlitten anhielten.
Novak bot ihnen heißen Kaffee an, den sie dankend annahmen, und zeigte sich wenig überrascht, als er von dem toten Indianer hörte. »Tut mir leid«, sagte er zu Betty-Sue, die keine Tränen mehr hatte und stumm und mit leeren Augen auf ihrem Stuhl saß. »Inzwischen weiß ich, dass Sie recht hatten mit Ihrem Verdacht, so unwahrscheinlich er auch klingen mochte. Lew Casey und Jayden King haben sich selbst verraten. In Sid Gillespies Saloon geben sie großspurig damit an, Matthew eins ausgewischt zu haben. Die ältere Dame, die Ihnen den Kuchen andrehte, ist Caseys Großtante. Eine Kräuterhexe, hab ich mir sagen lassen, die sich mit Betäubungsmitteln auskennt. Nicht mehr ganz richtig im Kopf und zu allen Schandtaten bereit, wenn sie dafür ein warmes Essen bekommt. Das haben ihr die beiden bestimmt spendiert.«
In Betty-Sues Augen trat ein wildes Feuer. »Das wissen Sie alles, Marshal? Und Sie haben die gemeinen Mörder nicht verhaftet und eingesperrt?«
»Das würde nicht viel bringen, Schwester. Für den Mord an einem Indianer ist noch niemand aufgehängt worden … Sorry, aber so sind die Gesetze nun mal. Außerdem könnte man sie sowieso nicht wegen Mordes belangen. Sie wollten lediglich, dass Matthew vom Schlitten fällt und das Rennen verliert. Dass er ausgerechnet über die Klippen fällt, konnten sie nicht wissen. Vor Gericht bräuchte ein Anwalt keine fünf Minuten, um sie auf freien Fuß zu bekommen. Aber ich kann Sie beruhigen: Ich habe ihnen nahegelegt, die Stadt bis morgen zu verlassen. Von denen haben Sie nichts mehr zu befürchten.«
Betty-Sue konnte es nicht fassen. In einer Mischung aus Entsetzen, Wut und Verzweiflung erwiderte sie: »Sie lassen die Mörder laufen? Obwohl Sie wissen, dass sie schuld an Matthews Tod sind? Sie unternehmen … nichts?«
»Casey und King werden die Stadt verlassen, Schwester.«
»Und damit ist die Sache für Sie erledigt?« Sie stand auf und stellte wütend ihren Kaffeebecher auf den Schreibtisch. »Ich dachte, Sie sind in Fairbanks für die Einhaltung des Gesetzes zuständig. Wenn es rechtens ist, einem Teilnehmer des Alaska Frontier Race ein Betäubungsmittel in den Kuchen zu geben und ihn in eine tiefe Schlucht zu jagen, und die Mörder auf
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