Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
Wenn sie das Leben von Betty-Sue nicht gefährden wollte, durfte sie keine Gegenwehr leisten. Verzweifelt nach einem anderen Ausweg sinnend, ging sie durch die Gasse.
»Keine falsche Bewegung!«, warnte sie Smith, und Clarissa spürte den Lauf einer Waffe im Rücken. »Wir haben den Befehl, Ihre Freundin sofort umzulegen, falls Sie etwas versuchen, und glauben Sie mir, die Männer, die sie in der Gewalt haben, haben keine Hemmungen. Die würden ihre eigenen Mütter oder Großmütter töten, wenn es Geld dafür gäbe.«
»Dann ist sie nicht bei Ihnen?« Clarissas Stimme klang heiser vor Angst. »Warum ziehen Sie meine Freundin da mit rein? Sie hat Ihnen nichts getan.«
»Wir haben sie bei Freunden versteckt. Keine Angst, noch geht es ihr gut, aber Sie sind eine aufsässige Wildkatze, die nicht mal klein beigibt, wenn man ihr die Blockhüte über dem Kopf anzündet, und Sie hätten bestimmt geschrien oder sonst etwas versucht, wenn wir kein Druckmittel hätten. Sie wollen doch sicher nicht, dass wir der Kleinen was tun? Ein falscher Blick, ein Schrei, und sie ist so gut wie tot. Vielleicht nicht gleich, weil sich die Männer, die sie haben, noch ein wenig mit ihr vergnügen werden, aber ein paar Minuten später. Und Sie sind auch dran. Reißen Sie sich zusammen!«
Clarissa war überzeugt, dass Smith nicht bluffte. Nicht nur der Stofffetzen von ihrem Kleid, auch die Art, wie er sprach und sich benahm, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er seine Drohung wahrmachen würde. Wütend, weil sie in die Falle des Mannes gelaufen war, aber auch verzweifelt, weil sie ihr ungeborenes Kind und ihre Freundin in Gefahr brachte, ging sie weiter.
Am Ende der Gasse wartete tatsächlich ein Planwagen. Raven, der Indianer, hatte die Heckklappe heruntergelassen und wartete mit stoischer Miene auf sie. Er stand so, dass man sie und Smith von der Straße nicht sehen konnte. »Wohin bringen Sie mich?«, fragte Clarissa erschrocken. »Was soll das?«
»Das werden Sie schon sehen!« Smith packte sie an den Hüften und hievte sie auf den Wagen. Ohne sie aus den Augen zu lassen, kletterte er hinterher und fesselte sie an Händen und Füßen. Die Rohhautschnüre gruben sich tief in ihre Haut. Nur mühsam unterdrückte sie einen Schmerzensschrei. »Nur zur Sicherheit und Ihrem eigenen Schutz«, sagte er, als er ihr einen Knebel in den Mund stopfte. »Ich glaube kaum, dass Sie so töricht wären, das Leben Ihrer Freundin zu riskieren, aber ich möchte kein unnötiges Risiko eingehen.«
Der Knebel machte sich in ihrem Mund breit und ließ ihr kaum noch Platz zum Atmen. In ihrer Panik schnappte sie viel zu schnell nach Luft und hatte plötzlich das Gefühl, ersticken zu müssen. »Ganz ruhig«, beruhigte sie Smith, als ginge es darum, ihr die Angst vor einem steilen Abstieg in den Bergen oder vor einem wütenden Grizzly zu nehmen. »Atmen Sie langsam durch die Nase ein, dann kann gar nichts passieren.« Er sicherte den Knebel mit einem Tuch, das er in ihrem Nacken verknotete, und drückte sie auf ein Lager aus Wolldecken. »Tun Sie, was ich Ihnen sage, dann passiert Ihnen nichts.«
Clarissa blieb nichts anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu ergeben. Sie legte sich seitlich auf die Wolldecken, um ihre Handgelenke nicht belasten zu müssen, und konzentrierte ihre ganze Energie darauf, sich an den Knebel zu gewöhnen und möglichst viel Luft zu bekommen. Nur ganz allmählich kam sie gegen ihre Panik an. Es gelang ihr, durch den Mund einzuatmen, und den quälenden Druck, den der Knebel verursachte, so weit zu lockern, dass sie nicht mehr Gefahr lief, die Nerven zu verlieren. Smith hatte recht. Wenn sie durchdrehte, machte sie alles nur noch schlimmer. Wenn sie überleben wollte, musste sie ihm und dem Indianer gehorchen, so bitter diese Einsicht auch war, denn sonst brachte sie nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer jungen Freundin in Gefahr. Sie zweifelte nicht daran, dass Betty-Sue in der Gewalt der Verbrecher war. Thomas Whittler war ein reicher Mann, und mit Geld ließen sich genug Männer kaufen, die eine junge Frau wie Betty-Sue entführten und notfalls auch umbrachten, falls sie den Befehl dazu erhielten.
Der Gedanke ließ sie beinahe verzweifeln. Ihre junge Freundin in Gefahr zu wissen, nach den Schicksalsschlägen, die Betty-Sue während der letzten Wochen heimgesucht hatten, erzeugte solche Schuldgefühle in ihr, dass sie sich bereits dafür schämte, ihr eigenes Wohl in den Mittelpunkt gestellt und keine
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