Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
wollte. »Genau können wir das natürlich auch erst sagen, wenn sich das Kind bewegt«, sagte der Arzt, nachdem er sie eingehend untersucht und für kerngesund befunden hatte. »Aber da Ihre Regel überfällig ist, gibt es kaum einen Zweifel. Lassen Sie mich noch Ihren Urin untersuchen.«
Nachdem er auch das getan hatte, war er sicher: »Sie sind schwanger, Clarissa. So riecht der Urin nur bei Frauen, die ein Kind erwarten. Das hat man uns sogar auf der Universität gelehrt. Sie erwarten ein Kind, liebe Clarissa!«
23
Es würde wohl noch einige Zeit dauern, bis die Nachricht vollkommen in ihr Bewusstsein eindrang. Sie brach weder in Jubelstürme aus noch spürte sie das Verlangen, jedem Bekannten auf der Straße von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Sie freute sich eher still, und in ihre Freude mischte sich auch ein bisschen Wehmut, weil Alex nicht bei ihr war und sie die Neuigkeit nicht gemeinsam genießen konnten. »Hast du das gehört, Alex?«, flüsterte sie immer noch etwas benommen, »ich bin schwanger! Wir bekommen ein Kind!«
Sie hatten selten über Kinder gesprochen, sie immer als etwas Selbstverständliches angesehen, aber während der vergangenen Jahre bewusst gewartet, weil sie niemals Ruhe gehabt hätten, solange Frank Whittler und seine Komplizen sie verfolgten. Erst in dem Roadhouse nördlich von Valdez, auf dem Heimweg vom Krankenhaus in Seward, war sie das Risiko eingegangen, ohne zu wissen, dass ihre Leidenszeit noch lange nicht vorbei war. Wie sollte sie ein Kind großziehen, wenn es Männer wie Thomas Whittler und seine Leibwächter gab, die nicht mal davor zurückschreckten, ihre Blockhütte anzuzünden? Würden sie noch einmal fliehen müssen, über den Yukon River?
Sie verabschiedete sich von Doc Boone und seiner Frau und verließ das Krankenhaus. Von der Nachricht beschwingt und bedrückt zugleich, kniete sie neben Emmett und kraulte ihn zwischen den Ohren. »Stell dir vor«, flüsterte sie ihm zu, »wir kriegen Nachwuchs. Weißt du, was das heißt? Du wirst im nächsten Winter einen mehr ziehen müssen.« Sie verwöhnte die anderen Hunde mit einem Klaps und richtete sich auf. »Ihr seid mir doch nicht böse, wenn ich euch noch ein wenig ausruhen lasse. Dolly wartet auf mich. Ich hab ihr versprochen, ein Stück Kuchen mit ihr zu essen … oder auch zwei.« Sie grinste verstohlen. »Und zum Nachtisch eine saure Gurke wie meine Mutter.«
Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne und genoss die ungewohnte Wärme. Der Frühling war noch näher, als sie geglaubt hatte. Von den Eiszapfen an den Vorbaudächern tropfte Wasser, und zwischen dem Schnee zeigten sich bereits dunkle Stellen. Auf den Straßen waren mehr Pferdefuhrwerke als Hundeschlitten zu sehen, und der Herausgeber der Weekly Fairbanks News stand sogar mit hochgekrempelten Hemdsärmeln auf dem Gehsteig und winkte ihr flüchtig zu, als sich ihre Blicke kreuzten. Ob er ahnt, was mit mir los ist?, fragte sie sich. Manchmal hatte sie den Eindruck, der Zeitungsmann besaß einen siebten Sinn für Neuigkeiten, die für seine Zeitung interessant sein könnten. Er schien den Leuten an der Nasenspitze anzusehen, wenn sie etwas bewegte.
In Gedanken versunken stapfte sie durch den Schnee und ging über die Bretter vor einem Eisenwarenladen und einem Futtermittelgeschäft. Eine schmale Gasse trennte die beiden Läden vom überdachten Gehsteig vor Barnette’s Trading Post und anderen alteingesessenen Geschäften. Sie verspürte bereits Appetit, ob auf etwas Süßes oder Saures, das konnte sie nicht genau sagen, und freute sich auf einen heißen Tee mit viel Milch, als der Mann, den sie als John Smith kannte, aus dem Schatten eines überhängenden Daches trat, ihr eine Hand auf den Mund legte und sie zu sich heranzog. »Kein Laut!«, warnte er sie. »Oder wir brechen Ihrer kleinen Freundin das Genick!«
Clarissa war so geschockt, dass sie weder schrie noch sonst etwas sagte. In Gedanken sah sie Dolly in der Gewalt des Indianers, doch der Stofffetzen, den John Smith ihr vor die Nase hielt, stammte von einem Kleid, das Betty-Sue öfter getragen hatte. Sie hatten Betty-Sue in ihrer Gewalt! Sie wand sich angewidert in seinen Armen, doch er hielt sie fest umklammert und warnte sie noch einmal: »Haben Sie mich verstanden, Ma’am? Wir haben Ihre Freundin! Wenn Sie nicht gehorchen, legen wir sie um! Also gehen Sie jetzt brav vor mir her und steigen auf den Planwagen am Ende der Gasse. Vorwärts!«
Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen.
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