Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
in den Bergen war und wahrscheinlich keine Ahnung von ihrer Entführung hatte. Um sich selbst, weil ihre Zukunft und vielleicht sogar ihr Leben von Thomas Whittler abhingen, einem skrupellosen Millionär, der nach einem Skandal wieder auf die Beine gekommen war, einen Teil seines riesigen Vermögens gerettet hatte und ebenso rücksichtslos gegen sie vorging wie vor einigen Monaten sein Sohn. Vor dem Einschlafen lag sie lange wach, nicht nur wegen der Schmerzen, auch aus Angst um ihr ungeborenes Kind. Sie legte beide Hände auf ihren Bauch, obwohl sie das Kind noch nicht spürte und nur zu fühlen glaubte, dass es dort heranwuchs. Wie sollte sie sich vor der indianischen Hexe schützen? Wie konnte sie verhindern, dass Dezba ihr Baby raubte? Oder handelte es sich doch um einen indianischen Aberglauben, und sie bildete sich die Hexe nur ein?
Sie ballte die Hände zu Fäusten. Selbst mit übernatürlichen Kräften würde es der Hexe nicht gelingen, ihr das Baby zu nehmen! Und wenn sie mit allen bösen Geistern des Universums im Bunde war. Clarissa würde ein solches Verbrechen niemals zulassen, und wenn sie sich mit dem Teufel verbrüdern müsste, um sie aus ihrem Leben zu vertreiben. Leere Worte, wie sie zugeben musste, denn sie hatte es ja nicht einmal geschafft, ihre eigene Entführung zu verhindern. Gegen die bösen Kräfte dieser Welt waren selbst Heilige machtlos, wenn ihnen das Glück abhanden kam. Sie streichelte ihren immer noch schlanken Bauch und lächelte versonnen. Obwohl sie noch nicht mal wusste, ob ein Junge oder ein Mädchen in ihr heranwuchs, liebte sie ihr Kind jetzt schon und würde es immer lieben. Und Alex, auch das wusste sie, würde es ebenfalls lieben und einen möglichen Entführer bis ans Ende der Welt verfolgen.
Ein Tag war wie der andere auf ihrer mehr als einwöchigen Fahrt nach Valdez. Tagsüber lag sie auf der Ladefläche des Wagens und wurde durchgeschüttelt, nachts hing sie im Schein des Feuers, das bis in den Wagen leuchtete, ihren Gedanken nach. Die einzige Abwechslung waren das Frühstück und das Abendessen. Mittags reichte ihr Smith etwas Schinken oder Käse oder einen harten Zwieback. Auffallend war, wie schnell sich das Land veränderte, aus seinem langen Winterschlaf erwachte und in seinem neuen grünen Kleid in der Sonne strahlte. Der Schnee schmolz und verwandelte den Trail in eine morastige Piste, die ihrem Wagen nur deshalb nicht zum Verhängnis wurde, weil ihre Entführer zwei besonders kräftige Pferde davor gespannt hatten. »Vorwärts!«, trieb Smith sie mit knallender Peitsche an, »jetzt nur nicht schlappmachen!«
Unterwegs begegneten sie nur wenigen Menschen, einigen Händlern und Reisenden, die einige belanglose Worte mit Smith wechselten, beim Anblick des Indianers aber manchmal auch rasch an ihnen vorbeifuhren. Smith war inzwischen dazu übergegangen, sehr zum Leidwesen des Indianers, der sie wohl gerne leiden gesehen hätte, ihr nur noch tagsüber einen Knebel in den Mund zu stopfen und manchmal auch unterwegs darauf zu verzichten, nachdem er ihr auf drastische Weise ausgemalt hatte, was seine beiden Freunde mit Betty-Sue anstellen würden, falls sie eine Dummheit beging. Ganz ohne Gefühl war er anscheinend doch nicht, oder hatte er bloß Angst, dass sie an dem Knebel erstickte und sie kein Geld mehr bekamen?
Am Ufer des Copper River, dessen Eis bereits aufgebrochen war, begegneten sie einem Trupp Soldaten, die Clarissa im Wagen an den lauten Befehlen und den klirrenden Säbeln erkannte. Warum Soldaten einen solchen Lärm veranstalteten, dass man sie auf zwei Meilen hörte, würde sie nie ergründen.
»Kein Wort!«, raunte Smith ihr zu, als die Soldaten näher kamen. Sie hatte keinen Knebel im Mund. »Sie wissen, was sonst passiert! Und glauben Sie bloß nicht, dass ich meine Drohung nicht wahrmache. Ein Wort, und Ihre Freundin hat ein Ohr oder einen Finger weniger. Ich warne Sie, Ma’am!«
Clarissa dachte nicht daran, Betty-Sue in Gefahr zu bringen, und rollte sich in ihren Decken zusammen. Mit zusammengepressten Lippen hörte sie, wie einer der Soldaten, wahrscheinlich ihr Anführer, einen Befehl rief. Das Klirren hörte auf. Ihr Wagen blieb ebenfalls stehen. Die Pferde schnaubten unwillig, sie spürten die Nähe der verschwitzten Soldaten.
»Lieutenant Billy Mitchell, Kompanie L, Siebte Infanterie«, stellte sich ein Mann mit junger Stimme vor. Sie klang befehlsgewohnt. »Wir arbeiten an der Telegrafenlinie. Darf ich fragen, was Sie um diese Zeit auf
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