Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
kurzen Augenblick.
»Zehn Minuten«, warnte Smith. »Wenn Sie dann nicht zurück sind, suchen wir nach Ihnen, und glauben Sie mir, wir werden Sie finden. Auf Strümpfen kommen Sie nicht weit. Und was dann passiert, können Sie sich bestimmt denken. Ich glaube kaum, dass ich dann noch immer so freundlich zu Ihnen sein kann.« Er blickte den Indianer an. »Von Raven ganz zu schweigen.«
Clarissa nickte stumm und lief in den Wald hinein. Die ersten Schritte führten durch knöcheltiefen Schnee, der an ihren dicken Wollstrümpfen kleben blieb und sie bis auf die Haut durchnässte. Unter den weit ausladenden Fichtenästen war es etwas trockener, aber im dichten Unterholz riss sie sich an herabgefallenen Ästen und entwurzelten Sträuchern die Füße auf, und an ihren Schienbeinen sickerte sogar Blut durch die Wolle. Dennoch lief sie weiter, bis das Feuer nur noch als schwache Glut durch die Bäume zu sehen war.
Unter einer mächtigen Schwarzfichte ließ sie sich nieder. Sie fand nichts Erniedrigendes dabei, sich auf diese Weise zu erleichtern. Während ihrer Ausflüge mit dem Hundeschlitten war sie schon öfter dazu gezwungen gewesen. Nicht einmal die Kälte machte ihr etwas aus. Viel beängstigender war die ausweglose Situation, in die sie durch ihre Gefangennahme geraten war. Wer wusste schon, was Thomas Whittler mit ihr vorhatte? Sie sehnte sich nach Alex, träumte davon, in seinen Armen zu liegen und seine kräftigen Arme um ihren Körper zu spüren. Sie musste nicht mal die Augen schließen, um zu erleben, wie sie sich an ihn kuschelte und ihm ins Ohr flüsterte, dass sie ein Kind erwarteten. Und sie wusste auch, wie er reagieren würde, mit einem stolzen Lächeln nämlich, einem liebevollen Kuss und dem Satz: »Ich liebe dich, Clarissa! Du wirst sehen, der Kleine wird ein Prachtkerl!«
Ganz in ihrer Nähe knackte ein Ast. Sie fuhr herum und blickte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, konnte aber nichts entdecken. So tief im Wald war die Dunkelheit fast vollkommen, und selbst der Mond und die Sterne, die inzwischen zum Teil hinter dichten Wolken verschwunden waren, spendeten nur so viel Licht, dass lediglich ein blasser Schimmer über den Bäumen lag. Das Nordlicht war in dieser Nacht nicht zu sehen, als wüsste es von der misslichen Lage, in der Clarissa sich befand.
Und doch … Sie hatte das Knacken deutlich gehört.
Ein Tier?
Oder war der Indianer ihr nachgeschlichen?
Wieder ein kaum hörbares Knacken, als wäre jemand auf einen herabgefallenen Ast getreten. Ihr Blick wanderte in aufkommender Panik durch den Wald, suchte nach einem verräterischen Schatten. Insgeheim hoffte sie, die gelben Augen von Bones zu entdecken, doch der Geisterwolf hatte noch immer kein Interesse daran, ihr zu helfen, und ließ sie allein. »Bist du das, Bones?«, flüsterte sie dennoch, um gleich darauf zu spüren, dass ihr der Verursacher des Geräuschs nicht wohlgesinnt sein konnte. Statt der Wärme, die sie empfing, wenn Alex oder Dolly oder einer ihrer Huskys oder Bones in der Nähe war, spürte sie diesmal einen kalten Hauch, der sich wie eine Eisschicht auf ihren Körper legte und sie bis in die letzte Faser erstarren ließ. So fühlten sich böse Geister an, glaubte sie. In der Hölle war es nicht heiß, sondern noch kälter als im tiefsten Winter, und man verbrannte nicht, sondern erfror.
Noch ein Knacken, so nahe, als stünde jemand direkt neben ihr, ließ sie zusammenzucken. Sie fuhr herum, blickte nach links und rechts und sah nichts als die blassen Schleier, entdeckte nicht mal mehr das schwache Glimmen des Lagerfeuers. Kein Schatten, keine Gestalt, nur dieser eiskalte Hauch, der ihr fast den Atem raubte und sie bis ins Herz gefrieren ließ. Und ein schadenfrohes Kichern, so leise, dass sie es nur hörte, weil sie wie versteinert sitzen blieb und kein anderer Laut aus dem Wald an ihre Ohren drang.
Doch der Indianer?
»Sind Sie das, Raven?«, fragte sie leise.
Wieder dieses kaum hörbare Kichern, dann ein unruhiger Flügelschlag, als sich ein Nachtvogel flatternd aus einem Gebüsch erhob und einige Eulenfedern durch die Dunkelheit segelten, die auf ihrem Handrücken liegen blieben.
Sie schüttelte die Federn von ihrem Handrücken, als hätte sie sich daran verbrannt, und sprang auf. Panisch zog sie sich an. Der Flügelschlag und das Kichern waren verstummt, doch der eisige Hauch lag noch immer auf ihrer Haut, und sie spürte förmlich, wie eine fremde Kraft versuchte, bis zu ihrem ungeborenen Kind
Weitere Kostenlose Bücher