Clarissa - Wo der Himmel brennt
daran tat, Soapy Smith nicht noch mehr gegen sich aufzubringen. Sie riss sich zusammen, schlürfte sogar eine Auster und verkniff sich jedes weitere Wort, das ihn in Rage bringen könnte. Während des Essens mit Soapy Smith die Nerven zu bewahren, fiel ihr schwerer als gedacht, doch sie wusste auch, dass sie ihre Zukunft ruinieren würde, wenn sie weiterstichelte, und versuchte sich damit zu trösten, dass Fitz und Frank Reid bereits daran arbeiteten, den Verbrecherkönig aus der Stadt zu vertreiben.
Weil Soapy Smith ein wichtiger Gast war und er Anteile am Flagler’s besaß, bediente sie der Inhaber persönlich, doch Dolly durfte abräumen und bedachte sie mit vorwurfsvollen Blicken. Sie war bereits im Restaurant gewesen, als Clarissa nach Hause gekommen war, und hatte keine Ahnung, dass Smith sie erpresste. »Pfui Teufel!«, flüsterte sie verächtlich, als sie ihren leeren Teller abräumte. »Jetzt verkaufst du dich schon an diesen Verbrecher!«
Clarissa ließ ein paar Minuten verstreichen, damit nicht der Eindruck entstand, sie würde nur wegen Dolly aufstehen, dann entschuldigte sie sich bei Soapy Smith und gab vor, die Toilette aufsuchen zu müssen. Ihre Freundin wartete bereits vor der Toilette. »Was soll das? Wie kommst du dazu, mit …«
Weiter kam sie nicht. Clarissa legte ihr rasch einen Finger auf den Mund und erklärte ihr in wenigen Worten, warum sie mit Soapy Smith in dem Restaurant war. »Glaub mir, ich würde ihm am liebsten eine runterhauen, aber er hat mich in der Hand. Wenn ich nicht gehorche, lässt er mich ins Gefängnis werfen. Keine Ahnung, wie er das rausbekommen hat, aber er hat ja genügend Leute auf seiner Lohnliste stehen. Ich hoffe nur, die Mounties auf dem Pass wissen noch nicht Bescheid, sonst halten sie Alex und mich dort auf …«
»So weit wird es nicht kommen«, erwiderte Dolly versöhnlich. »Da oben gibt es keinen Telegrafen, und die Mounties haben wahrlich andere Sorgen.«
»Hoffen wir’s.«
Dolly musterte sie. »Ein schönes Kleid, das muss man ihm lassen.«
»Kannst du haben, wenn Frank Reid und Fitz ihn aus der Stadt gejagt haben«, erwiderte Clarissa. »Ich will nichts behalten, was mich an ihn erinnert.«
»Noch ist er hier.«
Das bekam Clarissa schon im nächsten Augenblick zu spüren, als der Inhaber im Flur erschien, Dolly vorwurfsvoll musterte und sie an die Arbeit zurückschickte und sich an Clarissa wandte: »Mister Smith wundert sich, warum Sie so lange wegbleiben. An Ihrer Stelle würde ich zu ihm zurückgehen.«
Sie bedauerte den Inhaber, der wahrscheinlich nur ein Strohmann war und den größten Teil der Einnahmen an Soapy Smith abgeben musste, gehorchte aber und kehrte an ihren Platz zurück. »Hatten Sie etwa Angst, ich würde mich durch den Hintereingang davonmachen?«, sagte sie, als sie sich setzte.
»Ich hatte Angst, Sie könnten die unwirtliche Umgebung einer Gefängniszelle diesem Restaurant vorziehen«, konterte er. »Essen Sie Ihren Nachtisch.«
Clarissa gehorchte mit heimlich geballten Fäusten. Der Pfirsichkuchen schmeckte köstlich und erinnerte sie an so manches Essen mit Alex, als sie sich eine Dose Pfirsiche geteilt und die halben Früchte mit ihren Messern aus dem Saft gefischt hatten. Einen solchen Luxus gönnten sie sich nur an Festtagen, oder wenn sie gerade in der Stadt gewesen waren und eingekauft hatten.
Dolly ließ sich im Halbdunkel des Ganges blicken, als Soapy Smith und sie das Restaurant verließen. In ihren Augen spiegelte sich die Angst um Clarissa, auch wenn sie inzwischen wusste, dass Fitz in der Stadt war und die beiden im Auge behielt. Aber was konnte ein einzelner Mann schon gegen einen Verbrecherkönig ausrichten, der die bärtigen Burschen und andere Halunken auf seiner Seite wusste und keine Schwierigkeiten haben würde, sie in eine dunkle Gasse zu zerren und ihr dort Gewalt anzutun.
Glücklicherweise hatte auch Soapy Smith seine Prinzipien. Sehr zur Überraschung von Fitz, der mit seinem Gewehr unter einem Vorbaudach lauerte, brachte er Clarissa direkt zur Pension zurück und verabschiedete sich von ihr, ohne ihr zu nahezutreten. »Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben«, sagte er, als er ihre ablehnende Haltung bemerkte. »Ich bin ein Gentleman und würde Sie niemals zwingen, mich zu küssen oder …« Er ließ den Rest des Satzes unausgesprochen. »Ich möchte, dass Sie es freiwillig tun. Mag sein, dass Sie mich jetzt noch verabscheuen und beschimpfen, wenn ich nicht in der Nähe bin, aber der Tag wird
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