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Clarissa - Wo der Himmel brennt

Clarissa - Wo der Himmel brennt

Titel: Clarissa - Wo der Himmel brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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Irgendwann, nach einer Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, erreichte sie den Waldrand. Sie wusste nicht, wie viel Zeit seit ihrem Aufbruch vergangen war, schätzte aber, dass es mehrere Stunden waren, und ihr nur noch wenig Tageslicht blieb. Vielleicht war es noch später Morgen, vielleicht aber auch Mittag oder schon Nachmittag. Bei dem bedeckten Himmel ließ sich das kaum erkennen.
    Unter den Bäumen am Waldrand gönnte sie sich zum ersten Mal eine kurze Pause. Erst jetzt spürte sie, wie mühsam der Marsch durch die Senke gewesen war, und wie sehr ihre Beine vom anstrengenden Stapfen schmerzten. Sie stützte sich an einem Baum ab und rang nach Atem. Die eisige Luft hatte sich auf ihre Bronchien gelegt und ließ sie keuchen. Durch die Anstrengung geriet sie ins Schwitzen und war dadurch der Kälte noch stärker ausgesetzt. Was habe ich bloß getan, um diese Strafe zu verdienen, fragte sie sich. Warum hatte sie nicht Slocum Joe als Führer verpflichtet, dann wäre sie jetzt vielleicht schon auf kanadischer Seite. Mehr Pech und größeres Unglück konnte ein Menschen doch nicht haben.
    Im Wald kam sie schneller voran, aber unter den dichten Baumkronen war es auch düsterer und schwieriger, die Richtung beizubehalten. Sie war keine Indianerin, die auch ohne Sonne oder Sterne in der unwegsamsten Wildnis niemals die Orientierung verlor. Sie blieb jedoch auf Kurs, vertraute einem durch mehrere Spuren markierten Wildpfad und sah bereits die Helligkeit durch die Bäume schimmern, als sie das leise Scharren von Schlittenkufen und das Hecheln von Hunden zu hören glaubte. Augenblicklich blieb sie stehen. Der Fremde mit der Büffelfelljacke? Hatte er sich einen Schlitten besorgt, um sie noch vor der Grenze einzuholen? Ahnte er, welchen Weg sie genommen hatte? Zuzutrauen war es dem Mann mit dem grimmigen Gesicht.
    Sie lauschte angestrengt, konnte aber nichts mehr hören. Vielleicht war es doch nur Einbildung, genährt von der Angst, dem Hünen in die Hände zu fallen. Oder ein Tier, das durchs Unterholz gebrochen war. Nach ein paar Schritten hielt sie wieder inne. Sie glaubte eine männliche Stimme zu hören, ein Mann, der seine Schlittenhunde anfeuerte. Alex, dachte sie für einen kurzen Augenblick. Alex ist zurückgekommen und sucht nach mir! Aber selbst wenn er den Schlitten steuerte, war das Risiko, seinen Namen zu rufen, viel zu groß und würde ihr Ende bedeuten, falls der Kopfgeldjäger auf dem Schlitten stand.
    Von aufkommender Panik getrieben, lief sie weiter, langsamer jetzt, falls wirklich jemand in der Nähe war. Doch als sie das nächste Mal stehen blieb, waren weder das Scharren von Kufen, noch hechelnde Hunde oder eine männliche Stimme zu hören, und als sie kurz darauf wieder verharrte und angestrengt lauschte, war es ebenso still. Ich habe mich wohl doch getäuscht, beruhigte sie sich und beschleunigte ihre Schritte, vor lauter Angst und Panik sehe ich schon Gespenster. Reiß dich zusammen, feuerte sie sich in Gedanken an, du bist nicht zum ersten Mal in der Wildnis. Du schaffst das, Clarissa, und danach brechen wieder bessere Zeiten für dich an. Ein Mensch kann nicht ständig alles Unglück anziehen. Der Herr belohnt dich, indem er dir Alex zurückschickt und dir eine neue Zukunft in der Wildnis am Yukon ermöglicht.
    Als sie endlich den Waldrand erreichte, blieb keine Zeit mehr für solche Gedanken. Nur wenige Schritte von den Bäumen entfernt wartete ein steiler Hang, dessen Kamm hinter düsteren Schleiern verborgen lag und wohl nur den ersten Anstieg zur Passhöhe bedeutete, denn kaum lichtete der böige Wind für einen Augenblick den Dunst, erkannte sie die schemenhaften Umrisse weiterer Bergkämme, die sich erst in den nahen Gletschern zu verlieren schienen. Schon unter normalen Bedingungen war es beinahe unmöglich, diesen steilen und vereisten Hang zu erklimmen, doch inzwischen blies der Wind noch stärker von den Gletschern herab, und es wäre selbst mit einem Hundeschlitten schwierig geworden, das Hindernis zu überwinden. Wirbelnde Schneeflocken rauschten wie schäumende Gischt über den Hang.
    Clarissa sank niedergeschlagen zu Boden und verbarg ihr Gesicht in beiden Händen. Sie war viel zu entsetzt, um den plötzlichen Schmerz zu spüren, als sie die blutigen Schrammen berührte, und auch zu erschöpft, um zu weinen oder ihre Verzweiflung in den Wind zu schreien. Sie würde eine weitere Nacht in der Wildnis verbringen müssen. Ihr blieb gar keine andere Wahl, wenn sie wenigstens eine kleine

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