Clarissa - Wo der Himmel brennt
dazu blendend aussah. Ein Gentleman, so hatte sie den Eindruck, aber auch ein Polizist, der seinen Beruf ernst nahm, sonst hätte man ihm wohl kaum das Kommando über diesen wichtigen Außenposten gegeben.
Sie schaffte es, sich aufzusetzen, spülte die Pillen mit heißem Tee hinunter und aß ein paar Löffel von der Hühnersuppe. Der Tee war zu stark und viel zu süß, und in die Suppe hatte er tatsächlich zu viel Pfeffer gegeben. Sie schaffte es nicht mal, darüber zu lächeln, sank zurück und schloss die Augen. Die Pillen taten ihre Wirkung und ließen sie schon bald einschlafen.
Sie träumte viel und wirr und wachte mehrmals auf, ohne zu wissen, was mit ihr passiert war und wo sie sich befand. Einmal versuchte sie aufzustehen und aus dem Fenster zu blicken, knickte aber schon nach dem ersten Schritt ein und kroch rasch wieder in ihr Bett zurück. Sie blieb ungefähr eine Stunde wach liegen und starrte an die Decke, lauschte dem Knistern des Feuers, das einer der Constables im Ofen entfacht hatte, und dem Heulen des Windes, der sich hinter der Hütte zwischen den Felsen verfing. Es war stockdunkel, nicht das kleinste Licht ließ sich in der Nacht ausmachen, und der Mond und die Sterne versteckten sich wohl immer noch hinter einer dichten Wolkendecke. Einer der Huskys jaulte, und die anderen fielen in sein Jaulen ein.
Als sie ein weiteres Mal aufwachte, war es draußen hell, und ihre Schmerzen hatten stark nachgelassen. Sie blieb mit offenen Augen liegen, hatte den flatternden Union Jack im Blick, als sie aus dem Fenster sah, und wurde sich erneut bewusst, wieder in Kanada zu sein, in einem Außenposten an der Grenze zwischen amerikanischem und kanadischem Territorium. In wenigen Minuten würde Inspector Sherburne den Raum betreten, und es gab keinen Aufschub mehr für sie. Selbst wenn sie ihm einen falschen Namen nannte, würde er herausbekommen, wer sie war, und ihr Handschellen anlegen. Dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Frank Whittler sie in die Hände bekam und endlich seine lang ersehnte Rache an ihr ausleben konnte.
32
Zum Frühstück brachte Constable McGill einen Becher Kaffee. Diesmal hatte er den Zucker vergessen, und er schmeckte so bitter, dass sie sich anstrengen musste, nicht angewidert das Gesicht zu verziehen. Und das aufgewärmte und viel zu trockene Biskuit mit Marmelade schmeckte nur, weil sie plötzlich großen Hunger verspürte und sich auch über geschmacklosen Haferbrei gefreut hätte.
»Guten Morgen«, begrüßte Inspector Paul Sherburne sie, nachdem er geklopft und »Darf ich reinkommen?« gerufen hatte. »Wie geht es Ihnen heute?«
Obwohl ihr Kopf immer noch schmerzte, und ihr schwindlig wurde, wenn sie sich zu schnell bewegte, konnte sie nicht anders als lächeln. Der mitfühlende Ausdruck in seinen Augen ließ sie für einen Augenblick sogar vergessen, dass er der Mann war, der sie gleich verhaften würde. »Es geht mir schon viel besser … Inspector, nicht wahr? In meinem Kopf rumort es noch ein bisschen, und schwindlig ist mir auch noch … Aber das wird wieder.«
»Inspector Paul Sherburne«, erwiderte er, anscheinend froh darüber, dass sie sich so rasch erholt hatte. »Das muss an meinem bequemen Bett liegen.« In seinen Augen blitzte es verschmitzt. Er war nicht der strenge Polizeichef, den man vor Augen hatte, wenn von einem Inspector der North West Mounted Police die Rede war. Er wirkte in seiner einfachen Kleidung eher wie ein einfühlsamer Mann, dem man sich vorbehaltlos anvertrauen konnte. Und er hatte Humor, eine Eigenschaft, die Clarissa äußerst selten bei Männern entdeckt hatte.
»Nur der Kaffee ist ein wenig …«
»Zu stark oder zu schwach, zu süß oder zu bitter … Sagen Sie’s ruhig.« Er lachte. »Constable McGill besitzt einige Qualitäten, die ich sehr an ihm schätze, aber das Kochen gehört bestimmt nicht dazu. Leider ist keiner von uns in dieser Richtung besonders begabt.« Er zog einen Stuhl heran und blickte sie fragend an, bevor er sich setzte. »Tut mir leid, wenn ich Sie schon so früh störe, Ma’am, aber ich wüsste natürlich gerne, mit wem ich es zu tun habe. Wir sind eine Polizeistation, und ich muss einen Bericht schreiben. Ich nehme an, inzwischen erinnern Sie sich wieder an Ihren Namen …«
Da war sie also, die Frage, vor der sie sich so gefürchtet hatte. Und sie hatte nicht die Absicht, diesen Mann zu belügen und einen falschen Namen anzugeben. Sie hatte nichts Böses getan, und vielleicht gab es ja doch eine
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