Clarissa - Wo der Himmel brennt
gezielter Schuss oft der letzte Ausweg. Gegen einen zu allem entschlossenen Mann wie Whittler würde er ihr nicht viel helfen. Sie hatte noch nie auf einen Menschen geschossen und würde es auch nicht fertigbringen, wenn er unvermutet vor ihr auftauchte und sie mit einer langen Gefängnisstrafe bedrohte. Noch dazu hatte Whittler einen Indianer angeheuert, der wahrscheinlich gut genug bezahlt wurde, um selbst zur Waffe zu greifen.
Verfolgt von ihren düsteren Gedanken und der Angst vor einer unliebsamen Begegnung, erreichte sie ihre Hütte. Alex und sie hatten das einfache Blockhaus mit ihren eigenen Händen erbaut, ein gemütliches Heim im Schutz einiger überhängender Felsen, die zwischen den Fichten aus dem Boden ragten. Vor der Hütte fiel das Land zu einem schmalen Nebenfluss des Skeena Rivers ab, der sich in zahlreichen Windungen durch das schmale Tal schlängelte. An manchen Stellen lugte bereits braune Erde hervor.
Clarissa hielt vor dem Eingang und rammte den Anker in den Boden. Sie blickte sich forschend um, bevor sie die Hütte betrat, und holte den Hunden etwas von dem Wasser, das sie in einem Eimer neben dem Herd stehen hatte. »Es dauert nicht lange«, sagte sie zu den Hunden, während sie ihre Schüsseln füllte und jeden mit einer Streicheleinheit verwöhnte. »Sobald ich unsere Sachen gepackt habe, fahren wir zu Alex und Smoky zurück. Benehmt euch!«
Sie kehrte ins Haus zurück und holte die lederne Reisetasche unter dem Bett hervor. Beim Anblick der Tasche wurde ihr schmerzlich bewusst, dass sie im Begriff war, ihre neue Heimat für immer zu verlassen und sie vielleicht nie mehr wiedersehen würde. Ihre Blockhütte, die sie im Schweiße ihres Angesichts gebaut und eingerichtet hatten, den Herd und die Möbel, die sie im Sommer mit einem Wagen in die Wildnis gebracht, die Vorhänge an den Fenstern, die sie erst vor wenigen Wochen geschneidert hatten. Nur einen Bruchteil ihres Besitzes konnten sie mitnehmen. Ihre Kleider und ein paar Kleinigkeiten, der Lederbeutel mit ihren bescheidenen Ersparnissen. Nur zögernd stopfte sie das neue Buffalo-Bill-Heft zwischen ihre Blusen.
Bevor sie die Hütte verließ, blickte sie sich noch einmal um. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die mit jeder Faser an der heimatlichen Scholle klebten, war dem Neuen immer aufgeschlossen gewesen und auch in die Wildnis gezogen, weil sie sich im tiefsten Herzen danach gesehnt hatte, dennoch fiel es ihr schwer, sich von der vertrauten Umgebung zu trennen und einer neuen Zukunft entgegenzusteuern. Gerade erst hatten sie sich an diesen Teil der Wildnis gewöhnt und zahlreiche Freundschaften in Port Essington und Umgebung geschlossen.
Auch Alex hatte sicher nicht vorgehabt, diese Gegend schon so bald wieder zu verlassen. Hier waren sie mitten in der Wildnis und doch in der Nähe einer einigermaßen großen Stadt gewesen, und die Nähe des Meeres hatte sie an ihre Jugend erinnert, als sie mit ihrem Vater, einem Fischer, in seinem Boot auf den Pazifik hinausgefahren war. Die Erinnerung an diese Fahrten war immer noch ein bedeutsamer Teil ihres Wesens.
Sie verschloss die Tasche und band sie mit einigen Riemen auf die Ladefläche, ging noch einmal zurück und holte das Gewehr, das über zwei Haken neben der Tür lag. Mit der schweren Waffe über den Schultern scheuchte sie die Hunde auf und wendete den Schlitten. »Rick! Chilco! Vorwärts!«, feuerte sie ihre beiden Leithunde an. »Wird Zeit, dass wir umkehren, sonst kommen wir noch in die Dunkelheit!« Sie verriet den Hunden nicht, dass sie die Hütte für immer verließ, hatte aber das Gefühl, dass sie sehr wohl spürten, was in ihr vorging. Viel langsamer als sonst, als könnten sie sich selbst nicht von diesem Tal und der Hütte trennen, zogen sie den Schlitten über den Trail.
»Weiter! Weiter!«, rief Clarissa. »Nur keine Müdigkeit vortäuschen, oder wollt ihr, dass wir in ein Unwetter geraten? Seht euch mal die Wolken an!«
Tatsächlich standen dunkle Wolken über den bewaldeten Hügeln im Westen, und auch der Wind hatte etwas aufgefrischt. Bald würden Schnee oder Regen kommen, wahrscheinlich der besonders unangenehme Schneeregen, den weder die Hunde noch sie mochten. Eher fanden sich die an Schnee und Eis gewöhnten Huskys in einem Blizzard zurecht. Doch Clarissa floh nicht nur vor dem drohenden Unwetter. Sie fuhr auch vor ihrer Vergangenheit davon und wollte so schnell wie möglich in ihrer neuen Zukunft ankommen, obwohl ihr klar war, dass ihr Dampfer nach Alaska
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