Clarissa - Wo der Himmel brennt
Geschichten, die ihre Mutter ihr vorgelesen hatte, vor den Prinzessinnen auf die Knie gefallen waren. Er war männlicher, aufrichtiger, ein wenig ungehobelt vielleicht, immerhin hatte er die meiste Zeit seines Lebens unter Indianern, Goldsuchern und Abenteurern verbracht, aber auch sanftmütiger und liebevoller. Ein gütiges Schicksal hatte sie zusammengeführt, und sie würde nicht zulassen, dass ihr Leben ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag erneut aus den Fugen geriet.
In der Stadt fuhr sie direkt zum Haus von Doktor Weinbauer. Er wohnte neben der Pension von Mary Redfeather, ein gemütlicher Witwer, der seine Frau vor vielen Jahren auf der Überfahrt verloren und seitdem nicht mehr geheiratet hatte. Sie musste ein paarmal klopfen, bis er endlich die Tür öffnete und sich überrascht die Augen rieb. »Clarissa! Sie sind schon auf den Beinen? Ich dachte, Sie und Alex … Nun ja … Gestern war doch Ihre Hochzeitsnacht!«
Clarissa sparte sich eine Erklärung. »Alex ist verletzt«, sagte sie stattdessen. »Wir hatten einen Unfall. Er ist bewusstlos. Er ist gegen einen Baum geschleudert worden. Sie müssen ihn so schnell wie möglich untersuchen!«
»Okay.« Der Doktor war plötzlich hellwach. »Ich hole die Trage.« Er ließ die Tür offen, hastete mit wehendem Morgenmantel davon und kehrte wenig später mit einer Trage zurück. In seinen zerfledderten Hausschuhen stapfte er durch den nassen Schnee und half ihr, den wieder leise stöhnenden Alex auf die Trage zu legen. »Um den Hund kümmere ich mich später«, sagte er, während sie Alex ins Haus trugen und im Behandlungszimmer aufs Bett legten.
»Meinen Sie … ist es sehr schlimm?«, fragte sie.
»Dazu muss ich ihn mir erst einmal ansehen«, erwiderte der Doktor lächelnd. Auch in Schlafanzug und Hausschuhen war er jetzt ganz in seinem Element. »Sie warten am besten draußen. Zuschauer machen mich nervös.«
Clarissa gehorchte widerwillig und verließ das Zimmer. Als sie nach draußen ging, um Smoky hereinzuholen, sah sie Mary Redfeather vor die Tür des Nachbarhauses treten. »Clarissa! Da bist du ja«, hörte sie die Besitzerin der Pension rufen. »Wir haben uns schon Sorgen gemacht! Wo wart ihr denn die ganze Zeit? Als ich von der Feier nach Hause kam, war euer Schlitten weg.«
»Wir hatten einen Unfall … Alex ist verletzt!«, erwiderte Clarissa. Sie hob den verletzten Husky vom Schlitten und trug ihn zum Haus des Doktors. »Erzähle ich dir alles später. Smoky hat auch was abbekommen.« In der offenen Tür blieb sie kurz stehen. »Kümmerst du dich um die Hunde? Ich hab keine Ahnung, wie lange es dauert.« Ohne auf eine Antwort zu warten, ging sie weiter und legte den in eine Decke gehüllten Hund auf den Teppich im Flur.
Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, setzte sie sich auf einen der Stühle im Warteraum. Aus dem Behandlungsraum drangen dumpfe Geräusche. Sie lauschte eine Weile, versuchte herauszufinden, was sie bedeuteten, und gab auf. Außer dem Scharren seiner Hausschuhe, wenn der Doktor seine Füße bewegte, und dem Klirren einiger Instrumente, als er sie in einer Porzellanschale ablegte, war nichts zu hören. Keine Stimmen, kein Stöhnen, nicht einmal ein leises Seufzen. Anscheinend war Alex immer noch bewusstlos. Sie faltete ihre Hände und drückte sie gegen die Lippen. Bitte, bitte lass ihn wieder aufwachen, betete sie in Gedanken, lass ihn nicht ernsthaft verletzt sein!
Die Warterei zerrte an ihren Nerven, und sie war mehrmals versucht, das Behandlungszimmer zu betreten. Doch sie blieb sitzen und blickte nervös auf die Tür, als könnte sie den Doktor durch reine Willenskraft dazu zwingen, herauszukommen und ihr zu sagen, dass alles in Ordnung sei und sie sich keine Sorgen zu machen brauche. Je länger es dauerte, desto unruhiger wurde sie. Einmal stand sie tatsächlich auf und hatte den Türknopf bereits in der Hand, zuckte aber zurück, als sie die Schritte des Doktors hörte und setzte sich schnell wieder. Auf der Wanduhr rückten die Zeiger unablässig vor, und doch war nur eine halbe Stunde vergangen, als Doktor Weinbauer die Tür öffnete.
»Und?«, fragte sie ungeduldig. »Wird er wieder gesund? Die Verletzungen sind nicht so schlimm, oder? Sagen Sie mir, dass alles in Ordnung ist, Doc!«
»Alles in Ordnung? Das wäre wohl ein wenig übertrieben.« Der Doktor lächelte amüsiert. »Aber ich kann Sie beruhigen, ich konnte keine lebensgefährlichen Verletzungen feststellen. Keine inneren Blutungen, auch keine Brüche. Aber
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