Clarissa - Wo der Himmel brennt
blieb, machte nicht den Eindruck, als ließe sich vernünftig mit ihm reden. »Und ich glaube nicht, dass Sie eine Frau einfach über den Haufen knallen. Oder irre ich mich etwa, Mister?«
»Ein Weibsbild?« Der Händler trat aus dem Haus, eine Flinte in den Händen, und blickte sie verwundert an. In seiner Unterwäsche und der zerfledderten Wolldecke, die er sich über die Schultern geworfen hatte, sah er wie ein Landstreicher aus. Seine Glatze leuchtete in dem schwachen Licht, das aus der Hütte drang. »Mitten in der Nacht? Was wollen Sie, verdammt?«
»Nur eine Frage«, erwiderte Clarissa. Sie blieb in respektvoller Entfernung vor dem Händler stehen und warf einen Blick auf den Hund, der sich inzwischen beruhigt hatte, aber immer noch mit gespannter Kette neben der Tür stand. »Ich suche eine gewisse Dolly Kinkaid. Eine Engländerin. Dunkelblond, etwas kräftiger als ich. Sie ist spurlos verschwunden. Haben Sie die Frau gesehen? Ist sie vor ungefähr einer Stunde bei Ihnen vorbeigekommen?«
Der Händler ließ die Flinte sinken. »Vor einer Stunde? Da hab ich fest geschlafen, verdammt.« Er fluchte anscheinend gern und viel. »Und ein Weibsbild ist schon seit vielen Jahren nicht mehr bei mir aufgetaucht. Sie sind die Erste und hoffentlich auch die Letzte. Und jetzt verschwinden Sie endlich!«
»Ihr Mann ist ermordet worden.« Clarissa ließ nicht locker. »Reverend Ike hatte ihm versprochen, ihn zu einem befreundeten Ausrüster zu bringen. Zu Ihnen, Mister Dunn. Sie würden ihm einen Sonderpreis machen.« Ihre Hände waren immer noch in den Manteltaschen. »Er war nicht zufällig bei Ihnen?«
»Bei mir?«, erwiderte er scheinbar überrascht. »Bei mir war gestern niemand. Ich sag Ihnen doch, verdammt, ich verkaufe nur an gute Freunde.«
»An zahlungskräftige Kunden, die man ausnehmen und den Diebstahl irgendwelchen Verbrechern in die Schuhe schieben kann, die es gar nicht gibt!« Sie konnte nicht länger an sich halten, auch wenn sie wusste, wie dumm und leichtsinnig es war, so etwas zu behaupten. »Ich weiß, dass Reverend Ike mit Soapy Smith unter einer Decke steckt … dass die halbe Stadt mit ihm gemeinsame Sache macht … Und ich habe den starken Verdacht, dass einer seiner Männer den armen Mann umgebracht hat. Warum machen Sie bei so was mit? Haben Sie eine Vorstellung davon, was man der Frau angetan hat?«
Clarissa sah den Händler nach seiner Flinte greifen und erkannte, dass sie in ihrer Erregung einen Fehler gemacht hatte. Um den Revolver aus der Tasche zu ziehen und auf ihn zu richten, fehlte ihr der Mut. Stattdessen beeilte sie sich zu sagen: »Aber deswegen bin ich nicht hier, Mister. Ich will nur wissen, ob Sie die Frau gesehen haben. Sie muss hier vorbeigekommen sein.«
Der Händler gehörte wohl nicht zu den Schurken, die eine wehrlose Frau erschossen, und konnte sich ja auch sicher sein, für sein falsches Spiel nicht belangt zu werden. Wohl auch, um die lästige Frau endlich loszuwerden, sagte er: »Mag sein, dass mein Hund vor einer Weile angeschlagen hat. Das tut er immer, wenn jemand in der Nähe ist. Kann die Frau gewesen sein … oder ein verdammter Bär, der aus dem Winterschlaf erwacht ist, was weiß ich?«
Clarissa deutete nach vorn. »Wo führt die Straße hin?«
»Nach Dyea … einem armseligen Nest mit ein paar Häusern … und dann zum Chilkoot Pass.« Er grinste einfältig. »Aber da wollen Sie nicht hin. Nur Verrückte klettern den verdammten Pass hinauf. Ist Ihre Freundin verrückt?«
Clarissa überlegte kurz. Wenn Dolly nach Menschen zumute gewesen wäre, hätte sie wohl den Händler geweckt und ihn für den Tod ihres Mannes verantwortlich gemacht. In ihrer Panik hätte sie ihn vielleicht sogar mit bloßen Fäusten angegriffen, um den Namen des Mörders zu erfahren. Sie schien jedoch eher die Einsamkeit gesucht zu haben, um irgendwo in den nahen Bergen ihre Wunden zu lecken. Bis ihr Mut und ihre Entschlossenheit zurückkehrten, zogen sicher noch einige Wochen oder Monate ins Land.
Sie deutete auf den schmalen Pfad, der sich auf der anderen Seite der Lichtung zwischen den Bäumen verlor. In dem Schneetreiben war er kaum zu erkennen. »Und wo geht es dort drüben hin? Das ist doch ein Wildpfad, oder?«
»Da wollen Sie erst recht nicht hin«, antwortete der Händler. »Der Trail führt zum Skaguay River, und falls Sie jemals das Ufer erreichen, was ich nicht glaube, bleiben Sie entweder in den Felsen hängen oder stürzen in eine Schlucht. Dahinter gibt’s nur
Weitere Kostenlose Bücher