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Clarissa - Wo der Himmel brennt

Clarissa - Wo der Himmel brennt

Titel: Clarissa - Wo der Himmel brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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Gletscher und steile Berghänge. Da treiben sich nicht mal Indianer rum.«
    Clarissa dachte nach. Sie hatte keine Vorstellung davon, zu welchen Anstrengungen eine Frau, die gerade ihren Mann verloren hatte, fähig war. Würde sie vor lauter Verzweiflung nicht einfach drauflosmarschieren, möglichst weit weg von den Menschen, egal, welche Berge und Gletscher es zu überwinden galt?
    »Danke, Mister«, sagte sie. »Sorry, dass ich Sie geweckt habe.«
    »Weibsbilder«, brummte der Händler.
    Clarissa wandte ihm den Rücken zu und überquerte die Lichtung. Sie spürte seinen forschenden Blick im Rücken, widerstand aber der Versuchung, sich nach ihm umzudrehen und sich eine Blöße geben. Nach einer Zeit, die ihr unendlich lange vorkam, hörte sie endlich, wie die Tür ins Schloss fiel.
    Im Nachhinein erschrak sie bei dem Gedanken, wie direkt sie den Händler angegangen war und mit welchen derben Worten sie ihn beschuldigt hatte. Mrs Buchanan würde wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, falls sie ihr jemals davon erzählte. Aber die Arroganz, mit der Soapy Smith und seine Leute vorgingen, ging ihr so gegen den Strich, dass sie froh sein konnte, nicht noch schärfere Worte gebraucht zu haben. Willie Dunn trug eine Mitschuld an dem Mord, auch wenn er nicht selbst zugeschlagen hatte.
    Schon nach wenigen Schritten auf dem schmalen Wildpfad merkte Clarissa, dass der Händler noch untertrieben hatte. In dem Mischwald aus Kiefern, Birken und Cottonwoods, der nur einen Bruchteil des ohnehin nur trüben Lichts durchließ, war der Pfad kaum noch zu erkennen. Gleich beim ersten Hindernis blieb sie mit dem Rock hängen und konnte froh sein, dass der scharfkantige Felsen nur ein faustgroßes Loch in ihren Rock riss. Wie die Bauklötze eines Riesen türmten sich die Felsbrocken vor ihr auf, mächtige Quader aus grauem Stein, die den Pfad fast vollkommen unter sich begruben und sie zu gewagten Kletterpartien zwangen. Der Stein war nass und glitschig, und das Moos und die Flechten erschwerten ihr den Halt. Ihr einziger Trost bestand darin, dass die dichten Baumkronen den Schneeregen abhielten.
    Auf einem flachen Felsen, der wie ein Tisch aus dem steinernen Labyrinth ragte, verschnaufte sie schwer atmend. Unmöglich, sagte sie sich, diesen beschwerlichen Pfad konnte Dolly auf keinen Fall genommen haben. Nicht einmal die schlimmste Panik ließ eine Frau ein derartiges Wagnis eingehen. Der Händler hatte recht, in dieser Wildnis würden sich sogar Fallensteller und Indianer schwertun.
    Sie nahm ihren Hut ab und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die nassen Haare. War Dolly doch nach Dyea gelaufen, um dort nach einem Polizisten zu suchen, der etwas gegen die Mörder ihres Mannes unternahm? Wusste sie denn nicht, dass US Marshal Tanner für den ganzen Bezirk zuständig war? Oder war sie tatsächlich verrückt geworden, wie der Händler behauptete, und wollte über den Chilkoot Pass nach Norden fliehen?
    Clarissa stieg langsam weiter, ohne zu wissen, warum sie nicht gleich umkehrte und in Dyea oder am Aufstieg zum Chilkoot Pass nach Dolly suchte. Nur noch die paar Schritte bis zu dem Felsen, der wie ein mächtiger Keil aus dem Labyrinth ragte, überlegte sie, von dort habe ich den besten Überblick. Wenn ich sie dann nicht sehe, kehre ich um.
    Sie klammerte sich mit beiden Händen an den armdicken Ast einer Kiefer, die zwischen den Felsen aus dem dunklen Boden wuchs, und zog sich angestrengt nach oben. Schwer atmend erreichte sie das nächste Hindernis, einen schräg stehenden Felsbrocken, auf dem sie beinahe das Gleichgewicht verlor, griff nach einem weiteren Ast und kehrte auf den Pfad zurück, der in steilen Serpentinen zu dem keilförmigen Felsen führte und sich dort erneut in dem Steinlabyrinth verlor. Sie erklomm den keilförmigen Felsen und blickte angestrengt in die düstere Nacht.
    Tatsächlich hatte man von dort eine gewisse Aussicht, auch wenn sie mitten in der Nacht und bei diesem Wetter sehr beschränkt war. Jenseits des Felsens fiel das Land steil ab, ein mit verkrustetem Schnee bedeckter Hang, der das wenige Licht reflektierte, das vom Himmel fiel und von dunklem Kiefernwald begrenzt wurde. Zahlreiche dunkle Flecken, Baumstümpfe, die wie Pestnarben aus dem Schnee ragten, zeigten ihr, dass die Bäume auf dem Hang gerodet worden und wahrscheinlich für den Bau von Häusern benutzt worden waren. Von Dolly fand sie keine Spur.
    »Dolly!«, rief sie. Ihre Stimme hallte wie ein Echo. »Dolly! Wo bist

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